„Wir sollten ohne Wecker leben“

von Redaktion

INTERVIEW Eine Chronobiologin erklärt, was die Zeitumstellung mit dem Körper macht

Am Sonntag wird wieder an der Uhr gedreht. Um drei Uhr morgens werden die Uhren um eine Stunde zurückgestellt. Martha Merrow, Chronobiologin und Leiterin des Instituts für Medizinische Psychologie an der LMU München, erklärt, warum das diesmal für den Körper kein so großes Problem ist wie im Frühjahr – und warum man ohne Wecker leben sollte.

Frau Merrow, kann man sich auf die Zeitumstellung vorbereiten – und sollte man das überhaupt?

Auf die Zeitumstellung im Frühjahr soll man sich vorbereiten. Denn da wird uns sozusagen eine Stunde weggenommen – wer sich langsam darauf einstellt, hat weniger Probleme. Die Zeitumstellung im Herbst ist weniger problematisch. Denn durch die Stunde, die uns geschenkt wird, kommen der Hell-Dunkel-Rhythmus und unsere innere Uhr mehr in Einklang.

Was heißt das für Sonntag: Wecker stellen oder ausschlafen?

Auf diese Frage gibt es keine eindeutige Antwort. Auf der einen Seite wecken uns Wecker meist, bevor wir auf natürliche Weise aufwachen würden. Ziel sollte es eigentlich sein, dass wir ohne Wecker leben. Denn mit Wecker schlafen wir weniger, als unser Körper eigentlich fordert – und damit entsteht über die Woche ein Defizit. Das sollte man vermeiden, denn Schlafmangel ist ungesund. Deshalb spricht einiges fürs Ausschlafen am Sonntag, um einen Mangel auszugleichen.

Und auf der anderen Seite?

Wer unter der Woche früh aufsteht und am Wochenende lang schläft, tut seinem Körper nicht nur Gutes. Denn so ein Hin und Her ist auch schlecht für uns, das zeigen aktuelle Forschungen. Ich empfehle zwar tendenziell: keine Vorbereitungen treffen, sondern liegen bleiben und genießen. Aber jeder Mensch muss für sich eine Balance finden.

Worin liegen die Gefahren eines Schlafmangels?

Die Folge kann ein dramatisches Leistungsdefizit sein. Forschungen zeigen, dass Schlafmangel ähnliche Auswirkungen haben kann wie Alkohol. Mit genug Schlaf sind wir gesünder, trinken weniger Kaffee und Alkohol, neigen weniger zu Depressionen, Stoffwechselproblemen und Übergewicht.

Falls unsere innere Uhr wegen der Zeitumstellung durcheinanderkommt: Was kann man tun?

Die sogenannte cirkadiane Uhr braucht Licht, um festzustellen, wie spät es ist. Daher ist es gut, natürliches Licht zu bekommen – vor allem, wenn sich die Uhr gerade neu einstellt. Morgens und mittags sind die besten Zeiten, um rauszugehen und Licht zu tanken. Auch regelmäßige Essenszeiten helfen, dass einige der Zelluhren synchronisiert bleiben.

Würden Sie eine Vereinheitlichung der Zeiten begrüßen?

Ja. Ich halte die dauerhafte Normalzeit für richtig – also die, die nach der Umstellung jetzt wieder gilt. Damit würde es im Sommer abends früher dunkel, aber unser Schlafdefizit wäre kleiner.

Wie groß ist denn Ihr Schlafdefizit?

Zum Glück relativ gering. Ich bin ein früher Chronotyp. Chronotyp ist das Phänomen, dass Menschen früher oder später schlafen und aufwachen. Die innere Uhr tickt bei jedem Menschen ein bisschen anders. Das hängt vom Licht, den Genen und dem Alter ab. Teenager leiden am meisten unter frühem Aufstehen, denn sie sind späte Chronotypen. Kinder und ältere Menschen hingegen sind eher frühe Chronotypen.

Woher weiß ich, welcher Chronotyp ich bin?

Es ist nicht so wichtig zu wissen, welcher Chronotyp man ist. Vielmehr ist es nützlich herauszufinden, wie man ohne Wecker leben kann. Das heißt, dass man sein Leben so organisiert, dass die soziale und die biologische Uhr aufeinander abgestimmt sind. Die soziale Uhr umfasst nicht nur Strukturen wie Arbeit und Schule, sondern auch soziale Aspekte unseres Lebens. Zum Beispiel, wenn die Menschen, mit denen wir zusammenleben, einen früheren oder späteren Chronotyp haben als wir selbst.

Interview: Regina Mittermeier

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