Bunte Bekenntnisse zur Heimat

von Redaktion

INTERVIEW Aussiedlerin Ilse Schirmer trägt Karlsbader Tracht – aber die erinnert sie an Geretsried

Geretsried – Millionen Deutsche mussten vergangenes Jahrhundert unter Zwang ihre Heimat im östlichen Europa verlassen. Viele und auch Spätaussiedler in den 1990er-Jahren kamen in Bayern unter. So wie Ilse Schirmer. Aus Althrolau im heutigen Tschechien kam sie 1967 als Zwölfjährige nach Geretsried im Kreis Bad Tölz-Wolfratshausen. Ihre Traditionen pflegten die geflohenen und vertriebenen Egerländer im Verein Eghalanda Gmoi z’Geretesried weiter – und halten ihre Tracht bis heute lebendig.

Wie alt ist Ihre Tracht?

Wie alt einzelne Stücke sind kann ich nicht sagen. Das schwarzgrundige Seidenmieder und die Schürze mit den Blumen stammen nicht aus meiner Familie, sondern aus dem Fundus unseres Vereins. Einige Stücke oder besonders schöne Teile wie Bänder könnten von Egerländern aus der alten Heimat mitgebracht worden sein. Vieles wurde aber erst hier genäht. Damals hat man für die Tracht das vernäht, was man hatte. Es gab ja nicht viel.

Nähen Sie selbst auch?

Ja, obwohl ich Buchhalterin geworden bin. Schon als meine Tochter klein war, habe ich eine Karlsbader Tracht für sie genäht. Die kriegt man ja nicht von der Stange. Meinen rot-changierenden Rock mit der Zackenlitze und die weiße Bluse mit den großen Ärmeln habe ich auch genäht. Und die sogenannten Batzerlstrümpfe selbst gestrickt.

Das Muster schaut ja kompliziert aus…

Das ist aufwendig, ja (lacht). Aber es gibt eine Anleitung und mit Übung klappt das. Aber man muss konzentriert sein, nebenbei fernsehen kann ich nicht. Ich habe auch Nähkurse bei einer älteren Dame besucht, die noch im Egerland aufgewachsen ist. Übrigens: Allein unter Egerländern gibt es heute sieben verschiedene Trachten. Neben der Karlsbader zum Beispiel auch die Marienbader, die Luditzer und die Egerer Tracht.

Gelten ebenso strenge Regeln wie bei bayerischen Trachtenvereinen?

Es gibt eine Fibel für unsere Karlsbader Tracht, die auch Unterländer Tracht heißt. Es gibt viele Gebote, aber man kann auch viel machen. Ich kaufe in gängigen Stoffläden ein, die auch eine große Auswahl an Trachten- und Wollstoffen haben.

Welche Gebote gilt es zum Beispiel zu befolgen?

So ein Leibl, wie ich es trage, kann mit Borten, Pailletten und Glasperlen ausgeschmückt werden. Aber ohne das sogenannte Bauernband, das prächtige Seidenband mit Rosenmuster am vorderen Ausschnitt, geht es nicht. Die Schürze muss zwei Zentimeter kürzer sein als der Rock.

Und der wiederum muss über das Knie, bis zur Hälfte der Wade reichen. Als Farben sind grün, braun, rot und blau „erlaubt“. Die Wollstoffe sollten im Licht changieren.

Ihre prächtige Haube gibt’s bestimmt auch nicht im Laden zu kaufen, oder?

Nein, die habe ich auch selbst gemacht. Nur verheiratete Frauen dürfen so eine tragen. Vorbild waren ältere Hauben in unserem Fundus. Um den Boden wird ein Draht gespannt, damit die Haube steif ist. Mit einem Goldfaden wird sie bestickt. Seidige Bänder werden am Hinterkopf zur Schleife gebunden, die Schleifenbänder reichen gut bis zur Taille.

Zu welchen Anlässen tragen Sie Ihre Tracht?

Im Alltag nicht, aber zum Tanz am 1. Mai, zu Kirchgängen an Feiertagen wie Kirchweih und zu unseren Bundestreffen der Gmoi. Wenn wir als Verein auf Volksfeste gehen, tragen wir sie auch.

Ist sie für Sie Erinnerung an die alte Heimat?

Eher nicht. Ich bin 1955 in Althrolau, einem Karlsbader Vorort, geboren. In der Tschechoslowakei durfte deutsche Tracht nicht getragen werden. Sie war verpönt, nicht „angesagt“. Ich habe die Karlsbader Tracht erst hier in Bayern kennengelernt. Sie ist eher Erinnerung an die Menschen in der Gmoi. Die Gmoi ist und war für mich immer wie eine große Familie.

Wann hatten Sie die Karlsbader Tracht dann zum ersten Mal an?

Mit meinen Eltern, meinem Bruder und meiner Großmutter bin ich 1967 nach Geretsried ausgesiedelt. Die Eltern meiner Mutter lebten schon hier. 1971 gab es in der Gmoi genug Jugendliche für eine Jugendgruppe. Da habe ich meine erste Tracht getragen.

Wie ist die Aussiedelung abgelaufen?

Das war kompliziert, wir mussten lang auf die Genehmigung warten. Man musste Listen erstellen, für das, was man mitnehmen wollte. Das war bei uns nicht viel. Etwas Gwand, Handtücher, das gute Porzellan und ein Radl. Meine Mama ist heute 90 Jahre alt. Sie erzählt immer wieder vom „Kopfgeld“ – 4000 Tschechische Kronen wurden für jeden fällig, der aussiedelte.

Haben Sie hier etwas aus der alten Heimat vermisst?

Nein, meine Familie war bei mir und den Rest hat mir die Gmoi gegeben. In Vorträgen und Liedern sprechen wir unseren Egerländer Dialekt, gekocht wird nach typischen Rezepten und gefeiert in unserer Tracht. Das ist für mich nach wie vor besonders.

Interview: Cornelia Schramm

Das neue Buch

„Heimat im Gepäck“ stellt auf 336 Seiten die Tracht von Ilse Schirmer und viele weitere vor. Herausgeber ist der Bezirk Mittelfranken, die Autorin Katrin Weber. Das Buch erscheint im Volk Verlag und kostet 39,90 Euro.

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