Schleuser-Wahnsinn an der Grenze

von Redaktion

Die Turnhalle der Bundespolizei Rosenheim wurde 2015 und 2016 zeitweise zum Bettenlager umfunktioniert.

Manchmal verstecken sich die Flüchtlinge auf den Metall-Trailern der Güterzüge. © Bundespolizei Rosenheim (3)

Zusammengepfercht im Kofferraum: Viele Migranten kommen unter lebensgefährlichen Bedingungen ins Land.

Rosenheim – Sommer 2015, Bahnsteig 3 am Rosenheimer Bahnhof. Die Beamten der Bundespolizei warten auf den Zug, der gerade aus Italien einfährt. Sie wissen, dass der Bahnsteig in ein paar Minuten voll sein wird mit Menschen, die erschöpft sind, einige mit kleinen Kindern auf dem Arm. Und eine Frage wird ihnen gleich immer wieder gestellt werden: Is this Germany? Sind wir in Deutschland?

Deutschland ist das Land, in das viele Geflüchtete ihre ganzen Hoffnungen setzen. Das ist nicht erst so, seit Angela Merkel entschied, die Grenzen offen zu lassen. Schon seit Monaten ist die Turnhalle der Bundespolizei ein Auffanglager. Früher fanden hier Schulungen statt – jetzt stehen dort Feldbetten. Polizisten haben Stofftiere von zu Hause mitgebracht, um sie an die Kinder zu verschenken, die sich verängstigt an ihre Eltern klammern.

Seit Monaten rückt die Polizei mehrmals am Tag mit einem Bus am Bahnhof an, wenn die Züge mit den Geflüchteten ankommen. Zeitweise befinden sich bis zu 200 Migranten bei der Bundespolizei in Rosenheim. Alle müssen registriert, medizinisch untersucht und vernommen werden. Es werden Fotos gemacht, Fingerabdrücke genommen und überprüft, ob die Menschen bereits in anderen EU-Ländern erfasst wurden. Dann werden sie nach europäischem Recht dorthin zurückgeschickt. Manchmal dauert es Stunden, bis ein Dolmetscher für einen speziellen Dialekt gefunden ist. „Wir würden gerne noch gründlicher kontrollieren“, sagt Sprecher Rainer Scharf damals. Wären es weniger Menschen, würden die Bundespolizisten abgleichen, ob viele Asylbewerber dieselben Telefonnummern bei sich haben – das wäre ein entscheidender Hinweis auf die Schleuser, die den Menschen viel Geld abnehmen, um sie nach Deutschland zu bringen. Doch bei so vielen Flüchtlingen bleibt keine Zeit für umfassende Schleuserfahndung.

Stefan Kurth ist damals Gruppenleiter einer mobilen Einheit. Am 13. September ist er bei einem Fußballspiel in Nürnberg im Einsatz. An diesem Tag beruft Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) in Berlin kurzfristig eine Pressekonferenz ein, bei der er die Wiedereinführung der Grenzkontrollen in Deutschland ankündigt. Kurth und seine Kollegen werden sofort mit Hubschraubern nach Rosenheim geflogen. Sie werden für die Kontrollen gebraucht. In den folgenden Monaten steigt die Zahl der illegalen Einreisen deutlich. Den ersten spürbaren Rückgang gibt es im ersten Halbjahr 2016, erinnert er sich. Vom fünfstelligen Bereich pro Woche auf eine vierstellige Zahl.

In den folgenden Jahren erlebt Kurth das Geschehen in unterschiedlichen Positionen und Dienststellen. Ende 2024 wird er in Rosenheim Inspektionsleiter. Die Situation ist mit der im Sommer 2015 nicht vergleichbar. Das Personal ist deutlich aufgestockt worden, die Zuständigkeitsbereiche im Grenzgebiet sind anders zugeschnitten, es gibt Unterstützung durch Kollegen der Bereitschaftspolizei und der Landespolizei. Immer wieder mal steigen die Flüchtlingszahlen deutlich, zuletzt im Herbst 2023. Seit der neue Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) die Grenzkontrollen im Mai intensiviert hat, kommen kaum noch Asylbewerber in Deutschland an. Kurth geht nicht davon aus, dass sich die Situation diesen Herbst ändert. Er sagt aber auch: „Prognosen sind immer schwierig.“

Obwohl die Grenzkontrollen und die Schleuserfahndung seit zehn Jahren Alltag für die Bundespolizisten sind, gewöhnen werden sie sich nie an das, was sie an den Autobahnen und Bahnhöfen erleben, sagt Kurth. Er und seine Kollegen haben Flüchtlinge auf Güterzügen entdeckt, die manchmal tagelang bei Minusgraden auf den Ladeflächen von Aufliegern zwischen Paletten und Baumstämmen ausharrten. Oder sogar auf dem blanken Metall der Trailer. Sie haben Schleuser auf den Autobahnen aufgehalten, die den Kofferraum voller Kinder hatten oder doppelt so viele Menschen an Bord, wie es Sitze gab. Immer wieder kam es vor, dass die Fahrer unter Drogeneinfluss standen. Und hin und wieder starteten sie waghalsige Fluchtversuche. Auf der A94 starben 2023 bei einer Verfolgungsjagd sieben Flüchtlinge, als das Schleuser-Auto verunglückte. Es sind gefährliche und menschenunwürdige Bedingungen, unter denen viele Geflüchtete nach Deutschland kommen. Und meistens haben sie für die lebensgefährlichen Fahrten tausende Euro an die Schleuser bezahlt.

Aktuell wird etwa jeden dritten Tag ein Schleuser gefasst. Doch nach wie vor ist es schwierig, an die Hintermänner zu kommen. „Das bleibt unser Ziel“, betont Kurth. Die Ermittlungen können Jahre dauern. Es ist ein skrupelloses Geschäft mit der Verzweiflung. Häufig blicken die Bundespolizisten in erleichterte Gesichter, wenn sie einen Kofferraum oder eine Ladeklappe öffnen. Weil die Menschen in dem Moment wissen, dass die lebensgefährliche Fahrt vorbei ist. Kurth sagt: „Viele von ihnen wissen vorher nicht, auf was sie sich einlassen.“

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