München – Extreme Situationen produzieren oft auch Helden. In Fukushima waren es viele, die sich gegen die Katastrophe stemmten. Vor allem in den ausländischen Medien wurde immer wieder über jene berichtet, die im zerstörten Kraftwerk blieben, als alle anderen evakuiert wurden. Sie wurden die „Fukushima 50“, „Nukleare Samurai“ oder „Die Helden von Fukushima“ getauft. In Ganzkörperanzügen, mit Atemschutzgeräten und Taschenlampen betraten die Männer die Gefahrenzone, um Meerwasser in die überhitzten Reaktoren zu pumpen, Trümmer zu beseitigen und Messungen durchzuführen. Die Kraftwerksmitarbeiter hatten eine gemeinsame Mission: Schlimmeres zu verhindern. Koste es, was es wolle. Und sei es das eigene Leben.
Einer dieser Männer ist Masao Yoshida, Nuklearingenieur und damals Leiter des Kernkraftwerks Fukushima Daiichi. Als die Zentrale des Kraftwerkbetreibers Tepco von ihm forderte, die Kühlung der Reaktoren mit Meerwasser zu stoppen, machte er dennoch weiter. Hätte er sich der Anweisung nicht widersetzt, wäre ein Großteil Tokios heute unbewohnbar, sagen viele Experten rückblickend. Masao Yoshida arbeitete neun Monate lang in dem verstrahlten Gebiet. Im Jahr 2013 starb er im Alter von 58 Jahren an Speiseröhrenkrebs. Er hinterließ eine Frau und drei Söhne. Die Firma Tepco erklärte, die Erkrankung des Ingenieurs habe nichts mit der Katastrophe von Fukushima zu tun.
Die Suche nach anderen Helden aus Fukushima verläuft nahezu im Nichts: keine Namen, keine Gesichter, keine Geschichten. Acht Jahre nach der Katastrophe und sechs Jahre nach Yoshidas Tod scheinen die anderen Helden vergessen zu sein. Sie geben keine Interviews, sitzen nicht in japanischen Talkshows, haben keine Orden verliehen bekommen.
Der Kraftwerksbetreiber Tepco mauert bis heute, was die Identität seiner Helden angeht. Das Unternehmen hält geheim, was mit ihnen passiert ist, wie es ihnen heute geht – und wer von ihnen überhaupt noch lebt. Denn die Männer waren einer extremen Radioaktivität ausgesetzt. Nicht einmal die genaue Anzahl an Arbeitern ist bekannt. Blieben anfangs wirklich nur 50 Mitarbeiter zurück? Viele Quellen sagen, es seien deutlich mehr als 50 gewesen – an die 400 Arbeiter und Helfer, auch Feuerwehrmänner und Soldaten. Sogar Obdachlose, die das Risiko für gutes Geld in Kauf genommen hätten. Von Tepco selbst wurde nie eine Zahl bestätigt oder dementiert.
Auf ein offizielles „Dankeschön“ seitens des Unternehmens warteten die „Nuklearen Samurai“ 18 Monate. Während die Unbekannten im Ausland für Schlagzeilen sorgten, distanzierte sich ihr Heimatland Japan auf seltsame Weise von ihnen.
Im Jahr 2013 gab einer der Helden dem US-Nachrichtendienst BBC ein anonymes Interview. Die Journalisten hatten ihn nach wochenlanger Recherche ausfindig gemacht und zu einem Gespräch überredet. Ob er stolz auf seine Arbeit sei? Ganz im Gegenteil: „Seit der Katastrophe gab es keinen Tag, an dem ich mich je wieder gut gefühlt habe“, sagte er. „Wenn ich über Fukushima rede, fühle ich mich verantwortlich.“
NATASCHA BERGER