Nach der Pandemie steigt die Party

von Redaktion

VON MAXIMILIAN HEIM

München – Dass es die letzte Party für so lange Zeit sein würde, wusste niemand an diesem 7. März 2020, im legendären Münchner Club P1. Unsicherheit war aber schon zu spüren, erinnert sich Geschäftsführer Sebastian Goller. „Damals haben viele Leute gefragt, wie das jetzt mit Corona ist“, sagt er. „Aber wie man an das Thema rangehen soll, gerade als Club, das wusste niemand. Was genau heißt Abstand halten, was sind Aerosole, warum ist dieses Virus so leicht übertragbar – das alles wirkte surreal.“

Es war die Zeit, als Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger noch im Starkbier den natürlichen Feind des Coronavirus sah und das auch sagte. Im P1 gab’s eher Champagner: Die Tanzfläche war ein vorerst letztes Mal gefüllt an jenem Abend. Hämmernde Musik und gute Drinks, gehört und getrunken von den Schönen und Reichen – oder jenen, die das gerne wären. Lag damals in der Luft schon so etwas wie eine düstere Vorahnung? „Melancholie wäre zu viel gesagt, weil die Leute nicht geahnt haben, was sie erwartet“, sagt Goller. „Die große Sehnsucht nach Feiern hat sich erst später entwickelt, in den Wochen und Monaten nach Beginn des Lockdowns.“

Das klingt abgebrüht, und tatsächlich wollen sie nicht wehklagen im P1. Goller empfängt an einem regnerischen Tag auf der überdachten Terrasse des Clubs, unter dem Haus der Kunst. Seit Kurzem dürfen sie hier draußen wieder Gäste bewirten, die Außengastro ist Mittwoch- bis Samstagabend geöffnet, immerhin. Der Geschäftsführer, 33, Sohn des P1-Besitzers Franz Rauch, will die positiven Dinge der Corona-Zeit betonen. „Man konnte mal wieder eine Bestandsaufnahme machen, aufräumen, sich überlegen, wie der Club auch in den nächsten zehn Jahren erfolgreich bleibt“, sagt er. „Wenn alles wieder aufmacht, sollen sich die Leute nicht an unser Jammern erinnern – und sich auch nicht fragen, ob es uns überhaupt noch gibt.“

Entlassen musste Goller niemanden der 20 Festangestellten. Auch die Soforthilfen kamen letztlich alle an. Aber Bestandsaufnahmen dauern keine 15 Monate. Und man kann seine Räume noch so toll renovieren: Wenn niemand drin feiert, bleibt alles seltsam tot. Partylos durch die Nacht könnte man in Anspielung auf Helene Fischer sagen, wobei: Die gehört natürlich nicht unbedingt auf die P1-Playlist. Stattdessen vor allem: Elektronische Beats, Hip-Hop, ein bisschen Pop & Rock, aktuelle Trends. „Wir verkaufen laute Musik und Spaß“, sagt Goller, dessen herrlich tiefe Zigaretten-Stimme beweist, dass er nicht direkt nach der „Tagesschau“ ins Bett geht. „Wir bieten den Leuten eine Zeit, in der sie loslassen können. Und das vermissen gerade sehr viele.“ Wobei zur Wahrheit auch gehört, dass man erst mal reinkommen muss in diesen Club, den viele einfach nur Oanser nennen. Die P1-Tür gilt als eine der strengeren Sorte, auch wenn Goller das Wörtchen „elitär“ nicht mag. Eine Mischung der Bevölkerungsstruktur sei schon wichtig, erklärt er. Und: „Wer ein gutes Charisma versprüht, sollte auch reinkommen.“

Eine Rolle spielt allerdings durchaus, wer Einlass begehrt. Prominenz schadet nicht: Mick Jagger und Woody Allen, Tina Turner und Whitney Houston, die Toten Hosen und Leonardo DiCaprio – sie alle suchten im P1 Ablenkung oder Aufmerksamkeit, vermutlich beides. Oliver Kahn lernte hier Verena Kerth kennen, die an der Bar arbeitete und für einige Jahre die Freundin des Fußballtorwarts wurde. Aber ohne anmaßend zu werden: Kahn, Jagger, Allen – das sind längst ältere bis alte Herren. Die großen P1-Geschichten sind ein paar Jährchen her, der Club ist vielleicht nicht mehr der angesagteste im ganzen Land, aber weiter der vermutlich bekannteste.

Nebenan surfen sie auf der Eisbachwelle am Englischen Garten, auch an diesem Frühlingstag ohne Frühling. Auf der P1-Terrasse blickt Geschäftsführer Goller in den Nieselregen und soll schon wieder Corona-Fragen beantworten. Wie detailliert der erste Abend nach der Wiedereröffnung geplant ist? „Man kann nicht so viel planen, ohne dass man die Regeln kennt“, sagt er. „Wie viele dürfen rein, muss jede Gruppe einen eigenen Tisch haben? Man weiß es einfach nicht.“ Mit welchem Song er die erste große Party durchstarten lassen würde? „Gimme! Gimme! Gimme“ von ABBA, sagt Goller, wegen der Euphorie in dem Song.

Dass das Warten lange dauert, ist nicht überraschend: Die bayerische Staatsregierung hat früh klargemacht, dass durchfeierte Nächte zum Letzten gehören werden, das wieder erlaubt wird. Ministerpräsident Söder erklärte im vergangenen Sommer sogar lapidar, man könne ja auch zuhause mit der Partnerin tanzen – ein Satz, der bei sehr vielen Menschen aus der Clubszene sehr schlecht ankam.

Überhaupt: die Politik. Goller kramt die nächste Zigarette raus, kurze Pause, heikles Thema. Generell sei schon vieles ganz gut entschieden worden, sagt er, gerade am Anfang der Pandemie. Und er wolle auch nichts verharmlosen. Was er sich wünschen würde? „Mehr direkten Draht zu den Behörden. Dass man nicht alle Infos aus Pressekonferenzen ziehen muss, in denen man nicht gleich alles versteht.“

Auch im P1 schauen sie also Spahn oder Merkel oder Söder, hoffen auf gute Nachrichten für ihre Branche, einen Fahrplan, eine wuchtige Öffnungsmatrix, was auch immer. Bisher aber steht in Bayern nur dieser eine Satz in der Corona-Verordnung, die derzeit bis einschließlich 6. Juni gilt: „Bordellbetriebe, Prostitutionsstätten, Spielhallen, Spielbanken, Wettannahmestellen, Clubs, Diskotheken, sonstige Vergnügungsstätten und vergleichbare Freizeiteinrichtungen sind geschlossen.“

Dabei würden sie auch jeden Gast direkt vor der Tür testen, genau wie viele andere Clubs und Diskotheken. Rein zum Feiern dürfte dann nur, wer negativ getestet oder vollständig geimpft ist. Ob das reicht, um auch das Nachtleben langsam wieder hochzufahren? Unklar, wie so vieles. Dicht gedrängte Menschen, singende Münder, Alkohol in den Blutbahnen – nicht nur Karl Lauterbach spürt da eine heftige Aerosol-Angst. Zumal feiern mit Maske und Abstand wenig Spaß brächte. Dazu kommt die symbolische Wirkung: Wer die Tanzflächen der Republik wieder öffnet, erklärt irgendwie auch die Pandemie für beendet.

Vielleicht hilft ein Blick zurück. Vor gut 100 Jahren ging die Spanische Grippe in Europa zu Ende. Vergleiche mit heute sind schwierig, es gab keinen Impfstoff, das Virus nahm damals vor allem jüngeren Menschen das Leben. Dennoch gibt es eine mögliche Parallele: Die Jahre nach der Pandemie waren auch geprägt von der Lust auf Feiern und Exzess – ein Element der „Goldenen Zwanziger“. Schön und cool wäre es, sagt der P1-Geschäftsführer, wenn sich die Geschichte in diesem Punkt möglichst bald wiederholen würde.

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