Sulzemoos – Man fragt sich schon, ob jemand wie Emil Hartmann an einem Freitagabend nichts Besseres zu tun hat, als sich möglichst schnell und gründlich fünf Gramm Tabak ins Nasenloch zu stopfen. Hartmann, 59, Sanitärinstallateur, Schnauzer, Weißbier in der Hand, ist der 52. Bayerische Schnupfmeister. Mitte September holte er den Titel zu seinem Heimatverein, dem Schnupfclub Sulzemoos (Kreis Dachau). Nur 0,007 Gramm mehr Schnupftabak hatte er am Ende in seiner Nase stecken als der Mussack Alois, der unterlegene Zweitplatzierte vom SC Dingisweiler (irgendwo im Ostallgäu). „Es is einfach a Gaudi“, sagt Hartmann. „Man kommt zusammen, man kennt sich. Das ist einfach schön.“
Die Regeln seines ungewöhnlichen Hobbys sind schnell erklärt. Der Schnupfverband Deutschlands, der rund 30 Vereine unter seinem Dach vereint, hat die Regeln penibel in seine Bestimmungen geschrieben. Die Schnupfer bekommen je eine Dose mit fünf Gramm Schnupftabak, auch Schmalzler genannt. Sie haben nun 60 Sekunden Zeit, den Inhalt in die Nase zu bringen; dabei soll möglichst nichts herunterfallen. Die Teilnehmer haben eine sogenannte Serviette um, ein langes, weißes Lätzchen. Darauf fallen die Tabakkrümel. Am Ende der Zeit werden die Krümel zusammengepinselt, auch von den Händen, und in die Dose zurückgeschüttet. Der Rest wird gewogen und zusammen mit den Sauberkeitspunkten verrechnet. Der Schnupfer mit dem geringsten Tabak in der Dose und der gründlichsten Ausführung hat gewonnen.
Wichtig ist Regel Nummer 19. „Wer während des Wettbewerbs und der Bewertung niest, wird disqualifiziert.“
Profis wie Emil Hartmann passiert das nur selten. „In den ersten 30 Sekunden ist volle Power angesagt. Da geht es nur darum, Material wegzubringen“, sagt er. Dann werde die Dose auf den Tisch geklopft, um den Rest in die vordere Ecke zu bekommen. „Jetzt wird’s spannend“, sagt Hartmann. „Da kommt es auf jedes Brösel an.“ 4,8 Gramm stopft er in sein rechtes Nasenloch, der Rest wird am Schluss mit links weggesaugt.
Experten wie Hartmann haben natürlich Tricks auf Lager: Er trägt einen angespitzten und aufgeklebten Fingernagel. Damit lassen sich die restlichen Krümel besser aus der Dose holen. Und damit die Nase frei ist, zieht sich Hartmann vor dem Wettkampf eine mentholhaltige Gletscherprise rein. Eine Erfolg versprechende Strategie, schließlich wurde Hartmann 1989 schon einmal Bayerischer Meister. Eine Rolle spielt auch der Tabak. Enthält er mehr ätherische Öle, sei die Niesgefahr geringer, sagt der Meister. Sein Leibtabak kommt von der Firma Pöschl. „Den verwenden wir auch bei der Weltmeisterschaft.“
Hergestellt wird er in Geisenhausen. Hier, zwischen Landshut und Vilsbiburg, ist der Sitz des größten Schnupftabak-Produzenten der Welt. Das Unternehmen stellt jedes Jahr mehr als 200 Tonnen her und exportiert in mehr als 100 Länder. Auch Pfeifentabak produziert der Traditionsbetrieb – und Pueblo, den bei jungen Rauchern beliebten Drehtabak. Umsatz: rund 700 Millionen Euro.
Schon beim Betreten der Produktionshallen steigt einem der starke Menthol-Geruch aus asiatischer Wasserminze in die Nase. Das Menthol ist für die Produktion von Snuff wichtig, eine aus England stammende Schnupftabak-Art. Für die Herstellung wird der Rohtabak aus Brasilien oder Kuba zu Granulat verarbeitet und mit einer gärenden Soße gemischt. Die Masse wird in Kisten vier bis sechs Wochen in Wärmeräumen fermentiert. Das gibt dem Schmalzler seinen typischen Geschmack. Dann wird die Masse abgekühlt; ein Teil wird getrocknet, der andere bleibt feucht. Nach alten Rezepten werden die Massen gemischt. Dabei wird auch Mangotes beigemischt, das sind Tabakblätter, die mit einer Soße aus Rohrzucker und tropischen Früchten mehr als ein Jahr in betonierten Erdwannen fermentiert und dann zu Strängen gesponnen in Kuhhäute eingenäht wurden. Das Mangotes bei Pöschl riecht streng und regelt die Kräftigkeit des Schmalzlers. Der noch etwas grobe Tabak wird in Reibstühlen zu Tabakmehl zerkleinert. Das Tabakmehl wird dann einige Tage ausgekühlt und mit Weißöl und ätherischen Ölen aus unterschiedlichen Obstsorten gemischt. Fertig ist der Schmalzler, so wie ihn Schnupfmeister Hartmann jede Woche bei seinem Training konsumiert.
Vom Wettkampf-Schnupfen hält man bei Pöschl eher wenig. „Der Schmalzler ist kein Sportmittel, sondern ein Genussmittel. Und Genussmittel sollte man mit Genuss konsumieren“, sagt Patrick Engels, Geschäftsführer und Urenkel von Firmengründer Alois Pöschl. Er drückt sich vorsichtig aus, schließlich will man die zahlende Kundschaft nicht verprellen.
Tatsächlich ist Schnupftabak auf einem absteigenden Ast. Zwar war der Absatz zuletzt konstant, sagt Engels, seit 1997 erlebe die Branche aber einen spürbaren Rückgang. „Das mag an den Warnhinweisen liegen, die damals für Schnupftabak-Produkte eingeführt wurden.“ Auf allen Verpackungen steht der Satz: „Dieses Tabakerzeugnis schädigt Ihre Gesundheit und macht süchtig.“ Den Hinweis hält Engels für „totalen Humbug“, weil anders als beim Rauchen keine schädliche Verbrennung stattfinde.
Suchtmedizinerin Andrea Rabenstein von der Tabakambulanz der LMU-Klinik München warnt trotzdem. „Schnupftabak kann auch zur Abhängigkeit führen, unter anderem, weil das Nikotin über die Schleimhaut der Nase sehr schnell resorbiert werden kann.“ Die Auswirkungen des Tabakschnupfens seien zwar wenig erforscht, man wisse aber, dass die Nase aufgrund ihrer guten Gefäßversorgung das Nikotin im Tabak schnell aufnehmen könne. „Dementsprechend macht auch Schnupftabak abhängig“, sagt die Ärztin. Auch gebe es „keine Entwarnung hinsichtlich des Krebsrisikos“.
Schnupfmeister Emil Hartmann beunruhigt das nicht. „Ich mach das noch so lange, wie ich kann“, sagt er. In der momentanen Trainingsphase würde er ohnehin nicht ans Aufhören denken, weil er jetzt „gut im Saft“ sei. „Und wo kann man mit 59 Jahren noch Bayerischer Meister werden?“, fragt er. „Im Bergsteigen bestimmt nicht.“