So krank macht uns zu viel Zucker

von Redaktion

VON DORITA PLANGE

München – Mehr als 8,5 Millionen Menschen in Deutschland leiden nach Angaben der Deutschen Diabetes Gesellschaft an Diabetes Typ 2, auch als Altersdiabetes bekannt. Täglich kommen rund 1600 Neuerkrankungen dazu. Bei den 70- bis 79-Jährigen ist laut einer Erhebung der Barmer Krankenkasse inzwischen jeder Vierte erkrankt, bei den über 80-Jährigen fast schon jeder Dritte. Die größte Steigerungsrate innerhalb von zehn Jahren gab es aber in der Gruppe der 40- bis 49-Jährigen. Dort stieg der Anteil der Barmer zufolge von 3,4 auf 3,9 Prozent. „Deutschland scheint die Zuckerkrankheit nicht in den Griff zu bekommen“, kommentierte Barmer-Chef Christoph Straub im März die Zahlen.

Dr. Roman Iakoubov ist Facharzt für Innere Medizin, Endokrinologie und Diabetologie sowie Oberarzt und Leiter der Diabetes-Ambulanz im Münchner Universitätsklinikum rechts der Isar. Iakoubov und sein Team helfen auch Diabetespatienten, die Medikamente wegen anderer Erkrankungen nehmen müssen. In unserer Zeitung klärt der Experte über die Volkskrankheit Diabetes auf.

Wer gefährdet ist

Die Entstehung von Diabetes Typ 2 ist eine Kombination aus Genetik und Risikofaktoren wie Übergewicht, schlechte Ernährung, Stress oder Bewegungsmangel. Dr. Iakoubov: „Besonders gefährdet sind Menschen, die lange Zeit sitzen und dabei permanent Stress haben wie zum Beispiel Tram- oder Busfahrer.“ Denn genetisch gesehen ist unser Körper darauf ausgelegt, viele Stunden zu laufen, zu jagen, manchmal sehr viel und oft auch gar nichts zu essen. „Unser Körper ist heute noch darauf programmiert, auf keinen Fall Gewicht zu verlieren. Das passt oft nicht mehr zu unserer heutigen Lebensweise“, sagt Iakoubov. Zudem werden wir heute doppelt oder gar dreimal so alt wie unsere Vorfahren.

Das Typ-2-Risiko steigt ab dem 50. Lebensjahr signifikant an. Die gute Nachricht: „Wir diagnostizieren Diabetes heute viel früher als noch vor 20 Jahren“, sagt Iakoubov. Der Experte rät zur Vorsorge. „Die Bestimmung der Blutwerte ist eine Vorsorgeleistung der Kassen, die ich jedem ans Herz legen möchte.“ Zur Früherkennung gehört der Langzeitzuckerwert, auch Blutzuckergedächtnis oder HbA1c-Wert genannt. Der Langzeitzuckerwert zeigt an, wie hoch der Blutzucker in den letzten acht bis zwölf Wochen war. Damit wird auch überprüft, ob Medikamente oder die Insulintherapie bei Diabetespatienten optimal wirken.

Wenn Werte steigen

Ein plötzlicher Blutzuckeranstieg kann bei gut eingestellten Diabetespatienten auf eine andere Erkrankung hindeuten. „Wir haben hier viele Patienten, bei denen mehrere komplexe Probleme zusammenkommen“, erklärt Iakoubov. Zum Beispiel Tumorpatienten oder Menschen, die eine größere OP vor sich haben. Es gibt auch Patienten, die nach Jahren plötzlich ihre Diabetesmedikamente nicht mehr vertragen. „Das ist nicht selten.“ Jede Therapie muss also individuell erarbeiten werden.

Die Medikamente

Weil Diabetes fortschreitet, müssen Therapie und Medikamente regelmäßig angepasst werden. „Glücklicherweise gibt es immer wieder neuere Medikamente, die uns bessere Therapieoptionen eröffnen“, sagt Iakoubov. Dazu gehören Wochenspritzen wie Ozempic und Trulicity – sogenannte GLP-1-Rezeptoragonisten, die die Freisetzung von Insulin erhöhen, den Blutzuckerspiegel senken und das Sättigungsgefühl fördern. Der Patient nimmt ab. Zudem reduzieren diese Medikamente die Produktion von Glukose in der Leber. Ein Segen für viele Betroffene, die nicht mehr Insulin spritzen müssen. Denn: „Die Insulintherapie ist extrem gut verträglich. Aber sie bedeutet auch erhebliche Einschränkungen im Alltag. Die Patienten müssen stets ihr Spritzenset mitführen, sich immer sehr genau an bestimmte Zeiten halten, häufig ihre Blutzuckerwerte messen und ihren ganzen Tagesablauf an der Therapie ausrichten“, sagt Iakoubov. „Das ist zum Beispiel für Menschen, die im Schicht- oder Nachtdienst arbeiten, nicht so einfach.“

Metformin gilt noch immer als das Medikament. Die Wirkweise ist bis heute nicht ganz klar, vermutlich steigert es die Zuckerverwertung in der Leber und senkt damit den Blutzucker. Metformin hilft auch bei der Gewichtsreduktion und ist gut verträglich. Allerdings, schränkt Iakoubov ein, könne es – auch erst nach Jahren – zu Durchfällen führen. „Da müssen wir das Medikament dann umstellen.“

Eine große Rolle spielen seit einigen Jahren Gliflozine, auch SGLT-2-Inhibitoren genannt. Sie sind unter den Namen Jardiance, Forxiga oder Invokana auf dem Markt. Dr. Iakoubov: „Diese Medikamente regen die Nieren an, überschüssigen Zucker im Urin auszuscheiden und helfen so, den Blutzuckerspiegel zu senken.“ Auf diese Weise verliert man auch Kalorien.

Das Ozempic-Drama

Der Engpass bei den Wochenspritzen (z. B. Ozempic oder Trulicity) dauert an. Ozempic ist seit 2018 in Deutschland zugelassen. Weil es Prominente wie Elon Musk als Schlankmacher priesen, explodierte die Nachfrage – und im Frühjahr 2023 war Ozempic in den USA und auch in Deutschland nahezu ausverkauft. Für Diabetiker ist das ein Problem. „Wir können dieses wichtige Medikament häufig nicht mehr anbieten und müssen notgedrungen auf nachteiligere Optionen wie die Insulintherapie umsteigen,“ bedauert Iakoubov.

Die Warnzeichen

Typische Warnzeichen für Diabetes sind häufiges Wasserlassen mit größeren Mengen Harn, Blasenentzündungen (speziell bei jüngeren Männern), übermäßiger Durst, ständige Müdigkeit, Kribbeln, Schmerzen oder Taubheitsgefühle in Händen und/oder Füßen. Auch schlecht oder gar nicht heilende Wunden sowie Zahnfleischentzündungen können Anzeichen sein.

Unbehandelt hat Diabetes schwere bis lebensgefährliche Folgen: Der hohe Blutzucker kann Gefäße und Organe schädigen. Er greift die Netzhaut in den Augen, Nieren und (Bein-)Arterien an. Im schlimmsten Fall drohen Herzinfarkt, Schlaganfall, Nierenversagen und Durchblutungsstörungen bis hin zur Amputation von Zehen, Füßen oder dem ganzen Bein.

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