Georg Loferer an einem jungen Streuobstbaum. Sie brauchen Hege und Pflege, damit sie später ordentlich tragen.
Da hängt was dran: Eine Kirschpflaume auf Loferers Wiese, in Bayern auch „Kriacherl“ genannt. Die Früchte sind im August reif und prima geeignet für Marmelade und Schnaps.
Verhagelte Ernte: Georg Loferer zeigt die Dellen an seinem Obst, das heuer nicht als Tafelobst endet, sondern in der Saftpresse. © Fotos: Peter Schlecker
Rohrdorf – Die schmale Straße, die zum Bauernhof von Georg Loferer führt, ging früher hinten am Haus vorbei. Das erklärt, warum der Hofbaum jetzt vom Haus aus gesehen auf der anderen Straßenseite steht. Nicht ganz klar ist hingegen, warum der gut 160 Jahre alte und 19 Meter hohe Baum eine Birne ist und nicht wie auf vielen anderen Höfen in Bayern eine Eiche, Linde oder Kastanie. „Ich weiß aber“, erzählt der Bio-Landwirt, „dass meine Urgroßeltern mit die Ersten in der Region waren, die im großen Stil Obstbäume gepflanzt haben.“
Die Liebe zum Obst zieht sich durch Loferers Familiengeschichte: Der Onkel erweiterte den Bestand in den 1980er-Jahren sogar noch einmal, und so stehen heute mehr als 250 Obstbäume auf den großen Streuobstwiesen rund um den Hof in Rohrdorf bei Rosenheim: Birnen- und Apfelsorten, Zwetschgen, Pflaumen, Kirschen und Walnüsse. Es ist einer der größten Streuobstbestände im Landkreis. Der 35-Jährige selbst ist Pomologe, ein Spezialist für Obstsorten. Für die Regierung von Oberbayern war er drei Jahre lang in Streuobstgärten unterwegs, um nach alten und vergessen Obstsorten zu suchen. Seit 2019 ist er im Erhaltungsprojekt „Apfel-Birne-Berge“ aktiv.
Früher, sagt Loferer, habe fast jeder Hof eine Streuobstwiese gehabt. Heute sind Obstbaumgärten, die in Bayern über Jahrhunderte zur Kulturlandschaft gehörten, selten geworden. Nach Erhebungen der Landesanstalt für Landwirtschaft sind im Freistaat seit 1965 rund 70 Prozent der Streuobstbäume verschwunden. Von einst 20 Millionen sind nur noch sechs Millionen übrig. Die Bäume wurden gefällt, um Platz zu schaffen für Straßen, Siedlungen, Ackerland. „Vom Staat wurde die Abholzung noch in den 1980er-Jahren mit Prämien gefördert“, sagt Georg Loferer. „Unglaublich, oder?“
Dabei sind Streuobstwiesen ökologisch besonders wertvoll. Anders als im modernen Obstanbau mit niedrigstämmigen Bäumen in Monokultur stehen auf Streuobstwiesen hochstämmige Bäume unterschiedlicher Arten und Sorten. Pestizide oder Dünger kommen auf diesen Wiesen, die als Viehweide oder zur Heugewinnung zweitgenutzt werden, kaum zum Einsatz. Entstanden ist so ein Lebensraum, der mit rund 5000 Tier- und Pflanzenarten zu den artenreichsten in Europa gehört. In Deutschland stehen Streuobstwiesen auf der Roten Liste und sind als „stark gefährdet“ eingestuft.
Bayerns Naturschutzverbände haben sich lange vergeblich für den Schutz der Streuobstwiesen eingesetzt. Erst vor einigen Jahren und im Zuge des Bienen-Volksbegehrens setzte beim Freistaat ein Umdenken ein. Ende 2021 verabschiedete die Regierung den sogenannten Streuobstpakt. Ziel des Paktes ist es, die noch vorhandenen Streuobstbestände im Freistaat zu erhalten und bis 2035 eine Million neue Streuobstbäume zu pflanzen. Insgesamt 670 Millionen Euro stellt der Freistaat dafür zur Verfügung.
Kürzlich erst lobte Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber den Pakt als „wahre Erfolgsgeschichte“, Umweltminister Thorsten Glauber betonte, die Umsetzung laufe auf Hochtouren. „Zehntausende Streuobstbäume werden jährlich bayernweit gepflanzt und gepflegt.“ Gefördert wurde bisher die Pflanzung von 75 000 neuen Streuobstbäumen.
Grundsätzlich sei der Streuobstpakt eine sehr gute Sache, findet auch Loferer. Aber die Bürokratie mache es manchmal schwierig, an die Fördergelder zu kommen. „Das ist zum Teil noch etwas unübersichtlich.“ Martin Landes, der gerade dazugekommen ist, nickt. Als Streuobstberater ist der Gartenbauingenieur in den Kreisen Rosenheim, Traunstein und Miesbach Ansprechpartner für alles, was mit Anbau, Pflege und Förderung von Streuobst zu tun hat. „An manchen Ecken und Enden hakt es noch“, sagt er, „aber es dauert eben seine Zeit, bis sich so ein großes Programm eingeschwungen hat.“ Davon abgesehen aber wirke sich der Streuobstpakt sehr positiv aus. „Die Nachfrage hat sich spürbar gesteigert.“ (s. Interview)
Landes ist heute auf den Hof von Georg Loferer gekommen, um sich ein Bild von den Schäden zu machen, die der viele Regen und zwei Hagelgewitter an den Bäumen verursacht haben. „Zum Glück kein Feuerbrand“, sagt der 27-Jährige nach einem Rundgang und meint damit eine schwer zu bekämpfende Obstbaumkrankheit. „Aber Blattläuse hatten wir außergewöhnlich viele in diesem Jahr, das sieht man den Zwetschgenbäumen an, wo sogar die Früchte Schaden genommen haben.“
Weitaus schlimmere Spuren aber hat der Hagel hinterlassen. Alles, wirklich alles, was an den Bäumen hängt, ob Äpfel, Birnen oder Zwetschgen, ist mit kleinen, dunklen Dellen übersät. „Da ist leider nichts mehr zu machen“, konstatiert Georg Loferer knapp.
Für ihn bedeutet das spürbare Einbußen, denn als Tafelobst kann er diese Äpfel und Birnen nicht mehr verkaufen. Genau das bringt beim Streuobst aber das Geld. 1,80 Euro bekommt er pro Kilo Tafelobst. Dieses Jahr taugen die Früchte nur mehr für die Saftpresse. Und hier gibt es für das Kilo gerade einmal 20 Cent. Loferer zuckt mit den Schultern. „Ich könnte mich jetzt ärgern, aber das bringt auch nichts“, sagt er. „Aber es ist natürlich schade, weil es gerade heuer eine besonders gute Ernte geworden wäre.“
Martin Landes verabschiedet sich, und Georg Loferer erzählt jetzt lieber von den Schätzen, die auf seinen Wiesen wachsen, wie der Paradiesbaum beispielsweise. Die Äpfel, die dieser gut 100 Jahre alte Riese trägt, gehören zu einer Sorte, von der niemand mehr weiß, wie sie heißt. Sie ist weder in Archiven beschrieben, noch katalogisiert, noch genetisch erfasst und somit ein Traum für den Pomologen mit dem Faible für alte, vergessene Obstsorten. Paradiesapfel wurde diese Sorte in Rohrdorf früher genannt. Heute gibt’s nur noch wenige Exemplare, darunter diesen Baum und die Abkömmlinge, die Loferer auf seinen Wiesen gepflanzt hat. Historische Sorten zu erhalten, das ist ihm ein großes Anliegen.
Auch den großen Birnbaum am Eingang des Hofes hat Loferer vermehrt. Der Hofbaum ist eine Bayerische Weinbirne und damit eine Sorte, die früher sehr stark verbreitet war, von der es heute aber nur mehr einige wenige und sehr alte Bäume gibt. Dabei sei gerade diese Birne hervorragend für Saft, Most und Cidre geeignet, sagt der Landwirt. „Und ertragreich und widerstandsfähig ist diese Sorte auch.“
Genau hier sieht Georg Loferer auch die große Bedeutung des Streuobstanbaus. „Es geht darum, die Vielfalt zu erhalten, auch und gerade im Hinblick auf die Herausforderungen, die der Klimawandel mit sich bringt“, sagt er. Während moderne Sorten sehr pflegeintensiv seien, hätten viele alte Streuobstsorten eine gewisse Robustheit. „Das sind Naturburschen.“ Für Züchtungen der Zukunft könnte gerade diese Eigenschaft wichtig sein.