Hält nichts von dem Vorstoß: Sepp Obermeier. © Uwe Lein
Bairisch ist eine Sprache, sagt Anthony Rowley. © RK
Bier, Brezn und bairische Sprache. Oder bairischer Dialekt? Über diese Frage wird gerade gestritten. © KarepaStock
München – Niederdeutsch, also die Varianten des im Norden gesprochenen Platt, ferner Sorbisch, Friesisch, Romanes und Dänisch haben nicht viel gemein. Nur dies: Sie sind in die Liste der Europäischen Charta der Regional- und Minderheitensprachen aufgenommen worden. Sie stehen also gewissermaßen unter Schutz des Europarats, wie so viele Sprachen nationaler Minderheiten in Europa: Katalanisch in Spanien, Burgenlandkroatisch in Österreich, Schottisch-Gälisch in Großbritannien. Viele Nachbarn haben auch wechselseitig ihre Sprachräume geschützt: Ungarisch in Slowenien, Slowenisch in Ungarn etwa.
Nun unternimmt der Förderverein Bairische Sprache und Dialekte (FBSD) einen Vorstoß, Bairisch in die Liste der schützenswerten Regionalsprachen aufzunehmen. „Es ist die wohl größte Aktion unseres Vereins seit der Gründung 1989“, sagt Sprecher Karl Simon. Eine Petition an den Bayerischen Landtag ist gestellt, zur Unterstützung sammelt der Verein noch Unterschriften – Sammellisten dazu kann man von der Homepage fbsd.de herunterladen. Der Landtag sollte sich verpflichtet fühlen, die Aufnahme von Bairisch in die Charta zu fördern, schreiben die beiden Vorsitzenden Heinz Schober-Hunklinger und Marianne Hauser in dem Antrag, „insbesondere vor dem Hintergrund, dass Niederdeutsch seit 30 Jahren diesen Status inne hat“.
Das kann praktische Folgen haben, etwa eine Aufforderung an den Freistaat, mehr zur Pflege des Bairischen zu tun – zum Beispiel durch die Einstellung Bairisch-sprechender Lehrer. Doch es hat vor allem symbolische Bedeutung. Es geht um Identität. Nichts ist dem Katalanen so heilig wie seine Sprache. Ähnlich ist es in Bayern, zumindest dort, wo noch Bairisch gredt wird. Host mi?
Der Förderverein hat eigens zwei Gutachten in Auftrag gegeben, damit gleich klar ist, dass Bairisch alle Bedingungen zur Aufnahme in die Charta erfüllt. Das ist nicht banal. Erste Voraussetzung ist, dass eine Regionalsprache nur von einer „Untermenge der Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland“ gesprochen wird. Das ist beim Bairisch zweifellos erfüllt – in Hannover hört man es eher selten. Hochdeutsch dagegen hätte als Regionalsprache keine Chance – man hört es ja mitunter auch in Garmisch-Partenkirchen. Die zweite Voraussetzung ist schon kniffliger: Eine Regionalsprache muss eben eine Sprache sein und nicht „nur“ ein Dialekt. Was aber ist der Unterschied?
In den Gutachten bemühen sich zwei Professoren, der frühere Leiter des Bairischen Wörterbuchs, Anthony Rowley, und der Salzburger Germanist Hannes Scheutz, redlich, Bairisch in den Rang einer Sprache zu heben. Leicht ist das nicht, denn eine wesentliche Bedingung, die verbindliche Verschriftlichung, ist eher nicht erfüllt, weshalb sich selbst viele Bayern beim Niederschreiben von Begriffen schwertun.
Meist existieren – je nach Region – mehrere Varianten, wie ein Blick in den Kleinen Bayerischen Sprachatlas des Augsburger Bairisch-Forschers Werner König verrät. Allein für den Begriff „brünstig“ bei Kühen gibt es demnach mindestens acht Varianten: rindern, stierig, stieren, läufig, ochseln, farnig, reiten und muten. Zudem gibt es etliche Überlappungen – Mischgebiete also. Ein Holzsplitter in der Haut etwa ist in Teilen Bayerns mal ein Spreizel, mal ein Schiefer, Span, Spreißel oder Spieß. Für den Begriff junges Schwein, also Ferkel, notierte der Regensburger Sprachforscher Ludwig Zehetner in seinem Lexikon „Bairisch Deutsch“ beispielsweise Fack, Fackl und Fackel. Eine Mücke ist mal eine Staunzen, eine Staunsen, Stanzen, Stansen, Gelsen oder Schnack(e).
Letzter Punkt: Der Sprachraum des Bairischen ist nicht mit dem Staatsgebiet des Freistaats identisch, reicht mitunter weit ins Salzburgerische und Tirolerische hinein, stößt indes im Fränkischen und Schwäbischen rasch an Grenzen. Der Salzburger Professor Scheutz, den der Förderverein zur Unterstützung heranzieht, weist in seinem Gutachten darauf hin, dass „Bairisch selbst wiederum zahlreiche kleinregionale und lokale Dialekte aufweist“. Womöglich würden aber auch manche teils sexuell ausschweifende, teils schlicht derb-bairischen Ausdrücke („Bevor der stopselt, geht sie ins Kloster“) der Überprüfung durch puristische Germanistik nicht standhalten.
Bringt das also was? Hätte der Antrag Chancen? Am weitesten wagt sich Sepp Obermeier vor. Das, was der Förderverein Bairische Sprache und Dialekte da plane, habe allenfalls „Oktoberfest-Witzpostkarten-Niveau“, sagt der Vorsitzende des (mit dem FBSD konkurrierenden) Bund Bairische Sprache. Zur Wahrheit gehört: Obermeier war früher selbst im FBSD – nach einem Streit mit dem Vorstand verließ er den Verein und gründete den BBS. Der ist zwar kleiner als der FBSD, aber mit der jährlichen Verleihung einer „Sprachwurzel“ an versierte Bairisch-Redner durchaus rührig.
Sein Vize, der Lehrer Niklas Hilber aus Garmisch-Partenkirchen, weist süffisant darauf hin, dass einer der Unterstützer des FBSD, Antony Rowley, seine Meinung um 180 Grad geändert hat – denn er war 2015 just einer der Professoren, die die Einstufung von Bairisch als eigene Sprache ablehnten. Rowley gibt das im Gutachten indirekt selbst zu. Er sei sich damals „nicht sicher“ gewesen, „ob die Sprachgemeinschaften selber die Aufnahme begrüßen würden“. Das habe sich geändert. Hilber spricht von „intellektuellen Volten“ eines Professors aus Augsburg.
Um was es geht, enthüllt die Drucksache 17/2770 des Bayerischen Landtags: 2014 stellte die Fraktion der Freien Wähler schon einmal den Antrag, die Staatsregierung solle sich bemühen, Bairisch sowie bayerisch-fränkische und schwäbische Mundarten in die europäische Charta aufzunehmen. Der Antrag von Hubert Aiwanger und Co. fand zunächst breite Zustimmung – von CSU bis zu den Grünen stimmten alle zu. Wer würde denn auch gegen Bairisch stimmen?
Doch dann schaltete sich das bayerische Kultusministerium, damals von Ludwig Spaenle geführt, ein und fand allerlei Bedenkenswertes. Ja, sagten die Beamten, für die Verankerung von Bairisch in der Charta sei ein vollständiges parlamentarisches Verfahren nötig – der Antrag müsse also auch Befürworter jenseits der Abgeordneten finden. Das ginge vielleicht noch. Aber mitzureden hätte auch das Referat M II 4 im Bundesinnenministerium. Es ist für nationale Minderheiten zuständig. Die Bayern als nationale Minderheit? Auweia.
Es geht noch weiter. Um zu beurteilen, ob Bairisch der sprachwissenschaftlichen Einstufung als Regionalsprache und eben nicht nur als Dialekt standhalten würde („Grundvoraussetzung“), holte das Ministerium die Meinung von gleich fünf Professoren ein. Darunter eben auch Anthony Rowley. Einhellige Meinung damals, im Jahr 2015: Es sei keine „aus dem Bairischen, Fränkischen und Schwäbischen gebildete Ausgleichssprache des Freistaats Bayern erkennbar, die man auf diesen Sprachstatus heben könnte und die auf dem Weg zu einer Regionalsprache wäre“. Also: Ablehnung. Der Antrag habe „kaum Aussicht auf Erfolg“, notierten die Beamten des Ministeriums. Die Sache versandete.
Der Regensburger Sprachforscher Ludwig Zehetner, mittlerweile 85, aber immer noch agil, räumt dem neuerlichen Antrag des Fördervereins denn auch wenig Chancen ein. Bairisch sei vielleicht „auf halben Weg“, eine Sprache zu sein. Aber es gebe zu viele Ähnlichkeiten mit dem Standarddeutschen. „Ich kann nicht mit voller Überzeugung hinter dem Antrag stehen“, sagt Zehetner. Das Wort des FBSD-Ehrenmitglieds hat Gewicht („Wir sind ja alle Zehetnerianer“, sagt Hilber) – und da fällt auf, dass Zehetner die Zukunft des Bairischen sehr pessimistisch sieht. Selbst seine Enkel, sagt er, pflegten das stimmhafte S – sprechen statt Schprechen. Zehetner seufzt. „Das allmähliche Hinwegsterben unserer Sprache hält nichts auf.“