Miriam Bistrovic, Direktorin Leo-Baeck-Institut Berlin. © KNA
Berlin – Was blieb übrig nach den NS-Verbrechen? Und was hatte es lange vorher gegeben? Das Leo-Baeck-Institut sammelt seit 70 Jahren Briefe, Tagebücher und Co. – und ist mit seinen Themen Einwanderung und Flucht brandaktuell.
Jehuda Bacon überlebte als Jugendlicher Theresienstadt und Auschwitz und machte sich später als Maler international einen Namen. Werner T. Angress, ebenfalls jüdisch, wanderte in die USA aus und erlebte den D-Day als US-Fallschirmspringer. 1945 fand er in den Niederlanden endlich seine Mutter wieder – am Muttertag. Von beiden Männern gibt es Korrespondenzen, Tagebücher und ein Fotoalbum in der Berliner Archivdependance des Leo-Baeck-Instituts (LBI) New York. Damit gesellen sie sich zu tausenden Fotos, Briefen, Tagebüchern und Zeichnungen aus der Zeit vor und während des Nationalsozialismus, die dort ebenfalls untergebracht sind.
Die drei Standorte des Instituts – New York/Berlin, London und Jerusalem – verbinden mehrere Kontinente. Das LBI widmet sich seit 70 Jahren der Erforschung deutsch-jüdischer Geschichte und Kultur. Die Bestände können nicht nur Forschende einsehen. Eine Online-Suche ermöglicht es Menschen weltweit, in den Beständen zu stöbern und eventuell etwas über die eigene Familie oder den Wohnort zu erfahren. Willkommen sind sie auch vor Ort in den Archiven.
Emigrantinnen und Emigranten, darunter die Publizistin Hannah Arendt und der Philosoph Martin Buber, gründeten das LBI am 25. Mai 1955, um zumindest einige Dokumente, Gegenstände und Erinnerungen des deutschsprachigen Judentums zu retten, das die Nazis in weiten Teilen brutal zerstört hatten. „Wir waren auch immer ein Stück Heimat“, sagt daher Miriam Bistrovic, Berliner Direktorin des LBI New York. Der Charakter des LBI sei eine „Mischung aus Forschungseinrichtung und Zuflucht“, erklärt Bistrovic. So gebe es in New York hochbetagte Freiwillige, die Texte in Sütterlin-Schrift transkribierten. Immer wieder nähmen auch Enkel und Urenkel von deutschsprachigen Juden Kontakt mit dem LBI auf, sie reisten etwa von Australien nach Berlin. Kein Wunder, denn die Archive in New York und Berlin verzeichneten laut Bistrovic allein im Jahr 2024 einen Zuwachs von zusammengenommen 125 laufenden Metern Material.
Das Institut versteht sich als Forschungsbibliothek und Archiv, das sich der Geschichte des deutschsprachigen Judentums widmet. Es gehört zu den bedeutendsten Sammlungsstätten von Erstquellen und Forschungsmaterial zum jüdischen Leben Zentraleuropas in den Jahrhunderten vor dem Holocaust. Das LBI richtet auch Ausstellungen und andere Veranstaltungen aus. Der Namensgeber, der Rabbiner und Schoah-Überlebende Leo Baeck (1873–1956), war erster Präsident. Aus dem LBI heraus entstand auch das vierbändige Standardwerk „Deutsch-jüdische Geschichte in der Neuzeit“. Gerade wird an einer Geschichte der deutsch-jüdischen Diaspora gearbeitet.
KNA