Bayerns Handwerksbäcker in Bedrängnis

von Redaktion

Starke Unterarme: Ludwig Neulinger knetet Teig in seiner Backstube an der Gotzinger Straße in Sendling. © Thedens

Mohammed aus Syrien (31) hat bei Neulinger gelernt und ist jetzt Konditormeister – als Jahrgangsbester. © Max Wochinger

Alles noch echtes Bäckerhandwerk: Ludwig Neulinger zeigt ein Blech seiner frisch gebackenen Brote. © Yannick Thedens

München – Weizenmehl, Wasser, Hefe und etwas Salz – mehr braucht es nicht für eine Semmel. Doch wie so oft sind die Dinge komplizierter: Die meisten Backwaren enthalten Zusatzstoffe wie Emulgatoren, Enzyme und Verdickungsmittel. „Im Backhandwerk sind 248 Zusatzstoffe erlaubt“, sagt der Münchner Bäckermeister Ludwig Neulinger. Die Stoffe machen Teige besser verarbeitbar und länger haltbar. „Es gibt kein Produkt mehr, bei dem die Industrie nicht dabei ist“, sagt der 65-Jährige. Doch Neulinger verzichtet auf Zusatzstoffe. Damit ist seine Handwerksbäckerei inzwischen eine Rarität.

2001 hatte sich der gebürtige Niederbayer selbstständig gemacht. Fünf Geschäfte führt er heute in München, Backstube und Konditorei befinden sich in der Filiale im Stadtteil Sendling. 200 Tonnen Getreide werden hier im Jahr verarbeitet, pro Tag produzieren die Angestellten 2000 Brezn.

Neulinger, Bäckerhaube auf dem Kopf und Birkenstocks an den Füßen, zeigt seinen Laden: Hinter der langen Theke liegen Sauerteigbrote, Croissants und Aprikosen-Datschi. Mehr als 20 Brotsorten bietet er an – hergestellt nach eigenen Rezepten. An der Wand hängt sein Meisterbrief neben dem seines Vaters. Auch ein Café hat der Laden – und direkt dahinter die offene Backstube.

Von hier aus kann man den Konditorinnen und Bäckern bei der Arbeit zusehen. „Das ist unterhaltsam für unsere Gäste. Und ich wollte, dass unsere Kunden sehen, was wir machen. Wir haben nämlich nichts zu verstecken“, sagt Neulinger. Backmischungen, vorgefertigte Füllungen für Nussecken oder Fertigprodukte finde man in seiner Bäckerei nicht. „In unsere Teige kommt kein Zusatzstoff. Wir verzichten auch auf Backmischungen. Und überhaupt sind unsere Zutaten zum großen Teil Bio.“

Traditionelle Handwerksbetriebe findet man immer seltener in Bayern. Derzeit gibt es weniger als 1180 Innungsbäcker – vor 20 Jahren waren es noch 3400 Handwerksbäckereien. „Pro Jahr machen 60 Bäckereien dicht“, sagt Stephan Kopp vom Landesinnungsverband für das bayerische Bäckerhandwerk. Das betreffe vor allem kleinere Betriebe. „Insgesamt bleibt die Mitarbeiterzahl konstant, die Zahl der Bäckereien geht aber zurück.“

Die Gründe dafür seien vielfältig, so Kopp. „Oft finden die Bäcker keine Arbeitskräfte und auch keine Nachfolger. Wir sprechen hier von der Generation 60plus. Die fragen sich: Wie lange soll ich das noch machen, es kommt einfach kein junger Bäcker nach. Die Betriebe werden dann oft zu Wohnungen umgebaut.“ Davon könnten die ehemaligen Inhaber schließlich auch gut leben, sagt Kopp.

Das jüngste Beispiel ist die Münchner Bäckerei Traublinger. Wie gestern berichtet, hat Heinrich Traublinger (60), der zugleich Chef der Münchner Bäckerinnung ist, keinen Nachfolger in der Familie. Seine drei Töchter gehen andere Wege. Zusperren oder verkaufen, hießen die Alternativen. Jetzt übernimmt die kleinere Bäckerei Brücklmaier. Es geht also immerhin weiter für den mehr als 110 Jahre alten Handwerksbetrieb.

Zu den Nachfolge- und Fachkräfteproblemen kommt die bürokratische Last. „Es gibt unglaublich viel Arbeit für Verzeichnisse und Dokumentationen“, beklagt Kopp. Viele hätten darauf keine Lust mehr. Dazu die Kostensteigerungen: Rohstoffe, Strom und Gas, Gehälter. „Man kann das nicht alles auf die Kunden umlegen, sonst kaufen die lieber im Discounter. Irgendwann macht der Bäcker zu. Das muss den Konsumenten bewusst sein.“

Discounter und große Bäckereiketten statt Handwerksbetrieb – das ist längst Alltag. Große Betriebe können aufgrund der Masse, die maschinell hergestellt wird, viel niedrigere Preise anbieten. Und dank der Zusatzstoffe, auf die Ludwig Neulinger verzichtet. „Allein in der konventionellen Müllerei werden 150 Zusatzstoffe verarbeitet, die nicht deklariert werden müssen“, sagt er. „Da weiß der Bäcker gar nicht, was er in seinem Brot hat.“ Der Einsatz von Zusatzstoffen hat viele Vorteile bei der Haltbarkeit und Verarbeitung der Teige. Vorgefertigte Backmischungen sparen auch viel Arbeitszeit. „Die Bäckereien bekommen so viel von der Industrie geliefert. Das ist mittlerweile ganz normal – und zwar überall auf der Welt.“

In seine Semmeln kämen Weizenmehl, Backmalz, Hefe, Weizengluten, Meersalz, Sonnenblumenöl und Wasser, zählt Neulinger auf. Bei den ofenfrischen Semmeln von Aldi ist die Zutatenliste länger: Guarkernmehl, Zuckersirup, Emulgatoren. Dafür ist die Semmel rund 50 Cent billiger als bei Neulinger. Echtes Handwerk sei eben teurer, sagt der Meisterbäcker. Er denkt aber, dass seine Kunden auch deswegen in seine Läden kommen. „Viele Bäckereien sind austauschbar. Wir nicht.“ Auch Neulinger hat schon eine Semmel beim Discounter probiert. Seine Meinung: „Das schmeckt nicht schlecht, aber gut ist es auch nicht.“

Neulinger würde sich wünschen, dass die Gesellschaft mehr Geld fürs Handwerk zahlt. Doch die Steigerungen bei den Kosten für Energie, Rohstoffe und Löhne hätten seit dem Ukraine-Krieg „bedrohlichen Charakter“ angenommen. „Das musst du weitergeben. Doch dann bleiben die Kunden weg.“ Eine Filiale musste er bereits schließen. Dafür konnte er in einem anderen Viertel einen neuen Laden eröffnen.

Zumindest eine Herausforderung bewältigt er ohne Probleme: den Fachkräftemangel. 100 Angestellte hat er, sie kommen aus 25 Nationen. „Ohne Menschen aus dem Ausland würde es nicht gehen“, sagt Neulinger. „Besonders die Leute mit Fluchterfahrung haben ein ganz klares Ziel. Die sind nach Deutschland gekommen, um etwas zu erreichen.“ Die Verkäuferin kommt aus Eritrea, der Bäckergeselle aus Polen – und der Konditormeister aus Syrien.

Mohammed kam 2016 aus dem Bürgerkriegsland nach Deutschland. Schon ein Jahr später begann er seine Ausbildung bei Neulinger. 2023 absolvierte er die Prüfung zum Konditormeister – als Jahrgangsbester. „Ich habe schon in Syrien als Konditor gearbeitet. Doch hier in Deutschland läuft es ganz anders“, sagt der 31-jährige Mohammed. „Aber am Ende arbeitet jeder nur mit Mehl und Zucker.“ „Der Mohammed ist ein fleißiger Kerl“, lobt der Bäckermeister. „Hoffentlich bleibt er mir.“ Auch wenn es manchmal sprachliche Probleme mit Mitarbeitern aus dem Ausland gibt: Die kulturelle Vielfalt sieht der Niederbayer als Bereicherung. „Würden hier nur Deutsche arbeiten, wäre es langweilig.“

Ludwig Neulinger will den Betrieb so lange weiterführen, wie er kann. Auch ihn plagen Nachwuchssorgen. Sein Sohn hat kein Interesse. „Ich wünsche mir, dass ich mich mit der Bäckerei noch einige Jahre über Wasser halten kann.“ Sei das nicht mehr möglich, will auch er verkaufen.

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