Das doppelt begabte Huhn

von Redaktion

Ein bisschen kleiner sind die Eier im Vergleich zu Hybridhühnereiern. © Dziemballa

Klappe hoch: Billesberger sammelt die Eier ein. © J. Dziemballa

Amadé Billesberger an einem seiner Hühnermobile. Im Arm hält er das schwarze Huhn „Brooklyn“. © Johannes Dziemballa

Moosinning – Wenn Amadé Billesberger in seinen gelben Gummistiefeln naht, ist was los im Hühnermobil. Es wird gegackert und geflattert. Fütterungszeit! Der 44-jährige Ökolandwirt aus Moosinning klettert ins Innere des fahrbaren Hühnerstalls und schüttet Körner in die Futterrinne. Wieder draußen öffnet er die Klappe zum Nistbereich. Hier liegt das Tageswerk seiner zweibeinigen Angestellten. Flink sammelt er die Eier ein und legt sie in einen großen weißen Eimer. Dann nimmt er ein Huhn in den Arm. Es ist das einzig schwarze in der Schar. Eine Laune der Natur. Dafür hat das Huhn auch als einziges einen Namen. „Brooklyn“ heißt es.

Billesberger macht etwas, was eigentlich nicht so wirtschaftlich ist. Er hält Zweinutzungshühner. Aus Überzeugung. So um die 900 sind es im Moment. Früher hatte auch er Hybridhennen. Die legen zwar rund 30 Prozent mehr Eier – aber die Brüder wollte niemand. Denn Hybridhühner sind nur einseitig begabt. Legen die Hennen viele Eier, taugen die Hähne nicht zur Mast. Bei den Masthybriden zählt nur das Fettwerden im Zeitraffer. Ein Ergebnis gezielter Züchtung. „Hybridhühner“, sagt Billesberger, „sind nach einem Jahr nur noch Haut und Knochen.“ Ausgezehrt vom Lege-Akkord. Seine Hennen schaffen es zwei Jahre.

Angst müssen sie aber auch dann keine haben. „Wir schlachten nicht mehr“, sagt der Überzeugungstäter mit dem dichten schwarzen Bart. Die Familie lebt vegetarisch und will auch den Betrieb so führen. Die Hühner werden dann verkauft. Lebend. An Hobbyhalter oder Kleinbauern. Denn Eier legen sie immer noch, wenn auch nicht mehr so viele. Im Hühnermobil ein Stück weiter leben gerade wieder Hühnerrentnerinnen, die auf einen Abnehmer warten.

Münchens Köche schätzen die Eier

Dass die Familie das so machen kann, liegt auch daran, dass die Hühner nur ein Beigeschäft sind. Der Billesberger Hof ist ein 70 Hektar großes Naturparadies. Etwas abseits der Hauptstraße liegt er im Landkreis Erding am kleinen Flüsschen Dorfen. Der Golfclub Eichenried ist nicht weit. Der Hof hat ein Wasserkraftwerk, die Familie baut Gemüse und Kartoffeln an, lässt eigenes Mehl herstellen. Im Hofladen kann man mehr als 50 Produkte kaufen. Es gibt Tierpatenschaften für Schafe und Hühner, Führungen, offene Hoftage und am 25. Oktober wieder ein großes Kürbisfest. Und wer will, kann sogar ein Online-Meeting mit einem der Schafe buchen. „Meet a sheep“ nennt sich das.

Natürlich werfen auch die Eier etwas ab. 55 Cent kostet ein Ei ab Hof, in ausgewählten Geschäften in München sind es 60 Cent. Den Großteil der Eier aber verkauft Billesberger an Gastronomen vor allem in München. „Die Köche schätzen die Qualität der Eier sehr“, sagt er. Und die Brüder der Hennen? Die landen bei einem Partnerbetrieb, der sie großzieht und dann zu Gockelbolognese oder -frikassee verarbeitet. Auch das findet man im Hofladen.

Zweinutzungshühner sind am Markt noch Exoten. „Im Vergleich zu den Lege- und Masthybriden brauchen sie wesentlich mehr Futter, um eine vergleichbare Menge an Eiern oder Fleisch zu generieren. Und das ist teuer“, sagt Agrarbiologie Philipp Hofmann vom Institut für Tierhaltung in Kitzingen. Den enormen Eierbedarf über doppelt begabte Hühner zu decken, wäre nur über eine deutlich größere Zahl an Tieren möglich (siehe Interview).

Im Jahr 2024 verspeiste jeder Deutsche rechnerisch 249 Eier zum Frühstück, in Nudeln, Rührkuchen und so fort. Das sind zehn mehr als im Jahr davor. Auf deutschen Geflügelbetrieben lebten denn auch eine Million mehr Legehennen als 2023: 51,4 Millionen. Die Legeleistung je Henne: im Schnitt 295 Eier. Zudem werden hierzulande knapp 627 Millionen Masthühner im Jahr geschlachtet, Tiere, die schon binnen fünf bis sechs Wochen bis zu 2,5 Kilogramm schwer und schlachtreif sind. Bei Zweinutzungshühnern dauert das fast dreimal so lange.

Wenige Konzerne dominieren die Zucht

Die Zucht spezialisierter Rassen liegt heute vor allem in den Händen weniger Weltkonzerne: etwa der EW Group und Wimex Group, beide aus Deutschland, oder von Hendrix Genetics aus den Niederlanden. Die meisten Hühner, auch auf Biohöfen, stammen aus nur wenigen Zuchtlinien, die auf Hochleistung getrimmt sind. Das hat eine unschöne Nebenwirkung. Während bei Masthybriden beide Geschlechter schnell Fleisch ansetzen, braucht man bei Legehybriden die Hähne nicht, weil sie mager bleiben – und Eierlegen von Natur aus nicht können. Lange Zeit wurden die sogenannten Bruderküken deshalb direkt nach dem Schlüpfen getötet, was seit 2022 verboten ist. Die Geschlechter werden nun schon im Ei bestimmt und die Männer aussortiert. Oder sie werden als sogenannte Bruderhähne groß und verwertet, was aber wenig Ertrag bringt.

Rewe testet Zweinutzungseier

Professorin Inga Tiemann forscht an der Hochschule Osnabrück zur Frage: Wie lässt sich das Hühnerwohl verbessern? Dazu züchtet sie auch Zweinutzungshühner. Sie kreuzt unter anderem die Rassen „White Rock“ und „Ranger“ mit alten regionalen Rassen wie „Rahmesloher“, „Bielefelder“ und „Altsteirer“. Es ist ein groß angelegtes Forschungsprojekt namens RegioHuhn, das vom Ökoverband Naturland initiiert wurde. Heraus kommen Hühner mit Doppelbegabung: Die Hennen legen zwar nicht rund 300 Eier, aber doch etwa 260. Und die Brüderhähne erreichen ein auskömmliches Schlachtgewicht. Tiemann: „Solche Zweinutzungshühner sind etwas entspannter, robuster, pflegeleichter, aber eben keine Vollprofis.“ Damit seien sie ideal für den Hobbyhalter.

Im Stall der Profis haben sie es schwer. Denn die Kunden in Deutschland sind besonders preissensibel. Das weiß auch Amadé Billesberger. „Der Deutsche will es günstig“, sagt er. Ein Kilo Zweinutzungsgockel als Suppenhuhn koste eben um die 20 Euro. Christine Bremer, die auf ihrem Hof in Niedersachsen sogar 2500 Zweinutzungshühner hält, verlangt in ihrem Hofladen für einen Brathahn 25 Euro.

Noch flattern die doppelt begabten Hühner also in der Nische herum. Immerhin: Der Handelskonzern Rewe testet derzeit, wie gut sich in etwa 110 seiner Märkte in Teilen Baden-Württembergs und der Pfalz Bio-Eier von Zweinutzungshühnern verkaufen lassen. Er bietet den Karton mit vier Stück für 2,29 Euro an. Das sei, erklärte das Unternehmen, „gut angelaufen und wir sind mit den Umsatzentwicklungen zufrieden“.

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