INTERVIEW

„Viele Menschen haben heute weniger Zeit“

von Redaktion

Expertin Antje Gahl erklärt, warum wir immer mehr Fertigprodukte essen – und warum es in Maßen auch mal sein darf

München – Antje Gahl ist Ökotrophologin bei der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) in Bonn. Ein Gespräch über die schwere Kunst der richtigen Ernährung.

Warum gibt es so viele hoch verarbeitete Produkte?

Wir konsumieren schon lange sogenannte Bequemlichkeitsprodukte wie Soßenpulver oder Gewürzzubereitungen. Aber natürlich ändern sich die Verbraucheranforderungen und die Angebote der Hersteller. Viele Menschen haben heute weniger Zeit und greifen auf verarbeitete Lebensmittel zurück. Diese Produkte sind oft auch günstiger. Das spielt für viele Menschen eine Rolle.

Was ist der Unterschied zwischen verarbeiteten und hoch verarbeiteten Lebensmitteln?

Zucker, Butter, Naturjoghurt sind verarbeitete Lebensmittel. Vorgefertigte Mahlzeiten, Frühstücks-Cerealien, Fruchtjoghurts mit Zusatzstoffen, Erfrischungsgetränke, Süßigkeiten oder salzige Snacks gelten als hoch verarbeitet. Aber es nicht immer einfach, zu differenzieren. Nach der Nova-Klassifizierung gilt auch ein abgepacktes Brot als hoch verarbeitet.

Sind hoch verarbeitete Lebensmittel eine Gefahr?

Ob ein Lebensmittel ungesund ist, hängt vom gesamten Nährstoffprofil ab, nicht nur davon, ob es verarbeitet wurde. Es gibt Beobachtungsstudien, die zeigen, dass ein höherer Verzehr in engem Zusammenhang mit chronischen Erkrankungen wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes oder Adipositas steht. Aber nur Interventionsstudien können den Nachweis für diesen Zusammenhang liefern. Da gibt es noch nicht so viele. Aber der Zusammenhang zu Übergewicht scheint klar. Hauptursache ist die höhere Energiezufuhr bei hoch verarbeiteten Lebensmitteln.

Wir haben doch auch einen Trend zum gesunden Leben. Wie passt das zusammen?

Ein typisches Beispiel sind pflanzliche Milchalternativen. Die gelten als hoch verarbeitet, sind aber nicht per se schlecht. Bei Müsliriegeln und Proteinshakes geht es in die andere Richtung. Die braucht man nicht zwingend und sie sind teilweise sehr gesüßt.

Kann der Verbraucher erkennen, was er kauft?

Ja, gerade bei verpackten Lebensmitteln. Da sind die Zutaten mit ihren Anteilen aufgeführt. Aber natürlich hat nicht jeder beim Einkaufen Zeit, sich das alles genau anzuschauen. Wenn die Zutatenliste viele Zutaten, Aromastoffe oder Verdickungsmittel enthält, deutet das auf ein eher hochverarbeitetes Lebensmittel hin.

Problem Zucker. Brauchen wir eine Steuer?

Für Lebensmittel mit viel Zucker könnte das sinnvoll sein. Gerade bei zuckergesüßten Getränken ist die Studienlage sehr eindeutig. Oder man besteuert gesunde Lebensmittel wie Obst geringer. Aber da ist die Politik gefragt, ebenso bei möglichen Werbeverboten.

Müssen wir bewusster einkaufen gehen?

Der Verbraucher entscheidet, was in seinem Korb landet. Es geht nicht darum, verarbeitete Lebensmittel pauschal abzuwerten. Sie können uns im Alltag auch unterstützen. Es spricht nichts dagegen, mal eine Fertigpizza zu essen – es kommt auf das Maß an. Wenn ich morgens schon ein gezuckertes Müsli und abends noch Pommes esse, kann es problematisch werden. Sich immer einen großen Einkaufsplan zu machen, das halte ich für utopisch. Aber im Supermarkt kann man sich schon fragen, ob ich ein Fertigpüree kaufe oder das Püree doch selber mache.

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