Polizei-Lehren aus Messer-Angriffen

von Redaktion

Es ist die am meisten gestellte Frage, nachdem ein Mann (†35) nach einer Messer-Attacke durch die Kugel eines Polizisten ums Leben kam: Warum wurde in Grassau nicht auf ein Spezialeinsatzkommando gewartet? Polizeigewerkschafts-Chef Jürgen Köhnlein klärt auf.

Grassau/München – Jedes Jahr gibt es bei den Schulungen von Polizeibeamten ein Schwerpunktthema. Heuer ging es um Messer-Angriffe, wie der bayerische Landeschef der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) verrät. „Das Thema, wie man damit umgeht, wurde intensiv beackert“, sagt Jürgen Köhnlein im Gespräch mit den OVB-Heimatzeitungen und fügt hinzu: „Das ist auch der aktuellen Situation geschuldet, weil Polizeibeamte immer häufiger in solche Situationen kommen.“

So war es auch am Montagabend im Grassauer Ortsteil Mietenkam, als Polizisten im Achental durch einen Notruf zu einer mutmaßlichen Geiselnahme gerufen wurden. Ein Mann, der seine Mutter offenbar in seiner Gewalt hatte, war selbst der Anrufer. Als ein Beamter an der Haustür klingelte, öffnete der Anrufer (†35) und startete offenbar sofort einen Stich-Angriff. „Nach dem bisherigen Ergebnis der Ermittlungen wurde nur durch den Polizeibeamten ein Schuss abgegeben, der durch den 35-jährigen Mann unmittelbar zuvor mit einem Messer angegriffen wurde.

Dieser Schuss war tödlich“, beschrieb Oberstaatsanwalt Rainer Vietze auf OVB-Anfrage den entscheidenden Moment.

Anrückende Streife
muss sofort handeln

Danach wurde am häufigsten die Frage gestellt, warum der Zugriff nicht durch ein für solche Ausnahmefälle geschultes Spezialeinsatzkommando (SEK) erfolgte. Die Beantwortung begründet sich auch aus Lehren, die aus Polizeieinsätzen in der Vergangenheit gezogen wurden: „Nach Amokläufen wie dem von Ansbach hat sich eine Änderung in der Philosophie von Polizei-Einsätzen ergeben. Die anrückende Streife muss sofort intervenieren, wenn akute Gefahr besteht. Was bringt es, wenn die Polizisten den Tatort absperren – und bis das SEK ankommt, sind die Opfer einer Geiselnahme oder eines Amoklaufs verstorben?“

Eine Notlage habe es auch vor dem Todesschuss von Grassau ganz offenbar gegeben. Die Einsatzkräfte vor Ort gingen von einer Geiselnahme und einer „akuten Notlage für die Mutter“ des 35-jährigen Messer-Angreifers aus, zumal es zuvor am Telefon „lautes Geschrei im Hintergrund“ gegeben habe. „Wenn Hilferufe da sind, wenn Menschenleben in Gefahr sind, müssen die Beamten handeln“, so Köhnlein zum OVB: „Sonst hätte es möglicherweise ein Blutbad gegeben. Dafür ist man Polizist und muss auch unter Gefahr für das eigene Leben die Situation klären.“

Kein Polizist ist
„schießwütig“

Keiner der Polizeibeamten sei „schießwütig“, die „Ursache für den Einsatz der Schusswaffe“ setze immer der Täter: „So ein Messer ist kein Spielzeug. Da geht es um die Frage: entweder er oder die Polizeikraft. Zwei, drei Schnitte mit einem handelsüblichen Messer reichen oft aus, damit man verblutet.“ Auch Polizeisprecher Stefan Sonntag hatte zuvor darauf verwiesen, dass es keine Alternative zum schnellen Zugriff ohne SEK gegeben habe: „Ein weiteres Zuwarten wäre in diesem Fall die wohl schlechteste mögliche Vorgehensweise gewesen.“

Über superschlaue Kommentare, die selbst von prominenten Politikern in vergleichbaren Fällen über Social Media geäußert wurden, kann Köhnlein auch mit Blick auf den Tod des Polizisten Rouven L. nach einer Messer-Attacke in Mannheim in diesem Jahr nur den Kopf schütteln: „Es gibt in solchen Momenten für einen Polizisten nur zwei Möglichkeiten: entweder Flucht oder der Einsatz der Schusswaffe. In Bruchteilen von Sekunden gezielt in Arm oder Bein zu schießen, ist schlichtweg nicht möglich.“

Schon 2021 hat die Polizei-Gewerkschaft das in einer extern produzierten Video-Serie überzeugend nachgewiesen. Sensibilisiert durch die wachsende Zahl an Messer-Attacken seien die Beamten durch Schulungen, aber auch Gespräche mit Kollegen und der Familie heutzutage besser auf solche Situationen vorbereitet. Auch der Körperschutz der Polizisten – neben der schusssicheren Weste schnitthemmende Ausrüstung von Handschuhen bis zum Schal – sei top.

Mehr Schutz oder
mehr Beweglichkeit

Wie umfassend der Schutz von Polizisten gegen Messer-Attacken im konkreten Fall dann ist, hängt laut Köhnlein auch von den Beamten selbst ab: „Natürlich sinkt mit jedem zusätzlichen Ausrüstungsteil auch die Beweglichkeit. Und die Extremitäten bleiben sowieso ungeschützt.“ Nicht nur deshalb ist jede Messer-Attacke für Polizisten eine Frage von Leben oder Tod.

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