Das sei eindeutig übertrieben gewesen, sagt Oliver Roth, Börsenchef beim Bankhaus Oddo Seydler im Rückblick auf die 13 313 Punkte, die der Deutsche Aktienindex Dax am vergangenen Dienstag nahe an seinem Allzeithoch markierte. Mehr Realismus seit nötig. Den haben Börsianer und Anleger dann am Donnerstag im Lichte des historisch beispiellosen Wirtschaftseinbruchs gezeigt: Der Dax sackte auf weniger als 12 300 Zähler ab, bevor es am Freitag wieder zeitweise auf fast 12 500 nach oben ging, bevor die Kurse auf das Niveau von Ende Juni mit gut 12 300 Zählern abrutschten.
„Auch wenn an den Börsen die Zukunft gehandelt wird, kann manchmal der Blick in den Rückspiegel schmerzlich sein“, umschreibt Ulrich Kater von der DekaBank die aktuelle Lage. Von Ruhe im Sommerloch könne keine Rede sein.
Neben der weltweit dramatischen Wirtschaftsentwicklung in vor wenigen Monaten noch unvorstellbaren Dimensionen schlägt dem Dax nach Ansicht von Andreas Hürkamp massiver Gegenwind durch die unsicheren Gewinnprognosen entgegen. „Auch aufgrund der jüngsten weltweiten Welle neuer Corona-Infektionen ist der Ausblick äußerst unsicher“, sagt der Anlage-Stratege der Commerzbank.
Auch Claudia Windt von der Landesbank Hessen-Thüringen glaubt, dass die Sorge vor einer zweiten Welle in nächster Zeit die Finanzmärkte beherrschen dürfte. Sie sieht den Dax bis Ende September auf Talfahrt und dann nur noch bei 11 500 Punkten bevor es zum Jahresende wieder auf 12 000 nach oben geht.
Als latentes Aktienrisiko sieht Robert Halver von der Baader Bank auch eine im Herbst drohende Insolvenzwelle. Die deutlich, zum Teil um das Doppelte und Dreifache erhöhten Rückstellungen der Banken für wackelige und faule Kredite, deuten auf diese Gefahr.
Beleg für die Unsicherheit ist auch die Rekordfahrt beim Gold. Die Schwelle von 2000 Dollar für die Feinunze ist nicht mehr weit. Gold gilt als Krisenwährung. Und darauf setzen auch viele Bundesbürger. Nach Angaben des Welt-Gold-Verbandes haben sie im ersten Halbjahr 83,5 Tonnen Gold in Form von Münzen und Barren gekauft, doppelt so viel wie in der Vorjahres-Periode. Auch weitere ungelöste Probleme wie der Handelsstreit zwischen den USA und China, die Aussicht auf einen Brexit ohne Vertrag und die anstehenden US-Präsidentschaftswahlen sorgen für Verunsicherung und stützen die Nachfrage nach dem Edelmetall.
Angesichts von Niedrig- und Nullzinsen für Sparanlagen und Minus-Renditen für solide Bundesanleihen spricht weiter einiges für Aktien, auch wenn es mit dem Dax vorerst noch ein Stück nach unten gehen könnte und Anleger weiter mit hohen Schwankungen rechnen müssen. ROLF OBERTREIS