Was noch heute strahlend ist

von Redaktion

Die Folgen der Atomkatastrophe im Reaktor von Tschernobyl sind auch nach 35 Jahren in Bayern messbar, vor allem in Südbayern und dem Bayerischen Wald. Von Bedeutung ist vor allem das langlebige Cäsium-137, das eine Halbwertszeit von 30 Jahren hat. Derzeit ist also erst gut die Hälfte der ursprünglichen Menge zerfallen. Je mehr Regen eine Region in den Tagen nach der Katastrophe abbekommen hat, desto mehr Radionuklide befinden sich noch im Boden, insbesondere in Waldböden. Ackerflächen sind kaum mehr belastet und landwirtschaftliche Produkte wie Getreide, Salat oder Milch zeigen seit Langem keine auffälligen Messwerte mehr.

Anders ist die Lage bei Waldpilzen und Wild. Pilze nehmen mit ihrem Mycel Radionuklide aus dem Waldboden auf und reichern sie in ihren Fruchtkörpern an. Die Menge hängt von der Art ab: Regelrechte Cäsiumsammler sind zum Beispiel Maronenröhrlinge und Semmelstoppelpilze, die zum Teil Messwerte über 1000 Becquerel pro Kilogramm erzielen. Steinpilze und Pfifferlinge können mehrere hundert Becquerel erreichen. Zum Vergleich: In Deutschland dürfen Lebensmittel mit einer Belastung über 600 Becquerel nicht in den Handel kommen. Auch Wildpilze, die oft aus Osteuropa oder Weißrussland importiert werden, unterliegen diesen Vorschriften. Selbst gesammelte Pilze dagegen können diese Vorgaben deutlich überschreiten.

Das Bundesamt für Strahlenschutz vergleicht den Verzehr einer hoch belasteten Pilzmahlzeit mit der Strahlenbelastung eines Mittelstreckenflugs auf die Kanarischen Inseln. Sie sollten daher vorsorglich nur gelegentlich gegessen werden. Wer häufig Pilze sammelt, kann während der Pilzsaison zum Beispiel beim Umweltinstitut München eine Probe auf ihre radioaktive Belastung testen lassen. Kulturpilze wie Champignons werden auf speziellen Substraten gezüchtet und sind unbedenklich.

Auch das Fleisch von Rehen und Hirschen kann erhöhte Strahlenwerte aufweisen, absolute Spitzenreiter allerdings sind Wildschweine. Das liegt an der Lebensweise der Tiere. Sie durchwühlen den Waldboden auf der Suche nach Nahrung, fressen Wurzeln und stark cäsiumanreichernde Pilze wie Hirschtrüffel. Die Strahlenbelastung im Fleisch schwankt je nach Jahr und Jahreszeit. Messwerte über dem Grenzwert von 600 Becquerel sind keine Seltenheit, Spitzenwerte können das Zehnfache und mehr erreichen. Erlegte Wildschweine müssen aufgrund des hohen Risikos zwingend untersucht werden. Der Bayerische Jagdverband unterhält zu diesem Zweck ein engmaschiges Netz an Radiocäsium-Messstationen.

Vor zehn Jahren wurden beim Reaktorunglück im japanischen Fukushima erneut erhebliche Mengen an Radioaktivität freigesetzt, die auch in Europa die Sorge vor verstrahlten Lebensmitteln neu entfachte. Zwar gelangten wegen der großen Entfernung diesmal nur sehr wenige radioaktive Stoffe nach Deutschland, doch es bestand die Befürchtung, dass insbesondere Fisch, Meeresfrüchte und Algenprodukte aus Japan zu einer Gesundheitsgefahr werden könnten.

Lebensmittelimporte aus Japan wurden in der Folge genau überwacht, einige der Sonderbestimmungen sind bis heute in Kraft. Nur wenige Fälle von Kontaminationen wurden bei diesen Kontrollen auffällig. Warnungen von Behörden oder Forschungsinstituten vor einer erhöhten radioaktiven Belastung von Fisch und Meeresfrüchten aus dem Pazifik gibt es derzeit nicht.

Atomunfälle sind aber nicht die einzige Ursache von Radioaktivität in Lebensmitteln. Trink- und Mineralwässer beispielsweise enthalten Spuren natürlicher Radionuklide, die aus den Gesteinen der jeweiligen Fördergebiete stammen. Wie Untersuchungen des Bundesamts zeigten, ist die Belastung in der Regel sehr gering. Für Mineralwässer mit dem Zusatz „Zur Zubereitung von Säuglingsnahrung geeignet“ wurden besonders strenge Grenzwerte erlassen. Nur selten finden sich erhöhte Werte natürlicher Radioaktivität in Nahrungsmitteln. Ein Ausnahme bilden Paranüsse, sie sollten nur gelegentlich auf dem Speiseplan stehen.

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