Kinder-Apps mit Hass und Gewalt

von Redaktion

Nacktheit und Sex sind auch im Spiel.

Kinder werden mit Kuhaugen zu Inapp-Käufen verleitet.

Spielen mit Sieg Heil und Kamerad 88.

Verstörende Szenen mit einem Spielhelden, der blindwütig um sich schießt: Solche Apps sind für Kinder ab 12 Jahren gedacht. © Fotos: Stiftung Warentest

Holger Brackemann lässt Bilder sprechen. „Wir starten mit einem Film“, sagt der Bereichsleiter Untersuchungen der Stiftung Warentest. 16 zunächst kostenlose Spiele-Apps – angeblich für Kinder teils ab null Jahren – haben zehn Tester drei Monate lang überwacht und beim Spiel Roblox folgende Szene sehen müssen. Ein kindlicher Avatar läuft auf offener Straße mit einem Maschinengewehr Amok und hinterlässt in Blutlachen wahllos Leiche um Leiche.

Roblox ist frei ab zwölf Jahren. „Es ist aber auch für einen Zehnjährigen völlig unproblematisch, sich das anzusehen“, sagt Brackemann. Ein Tester habe sich als solcher angemeldet und sei zugelassen worden. Weil das Alter aber ohnehin nicht kontrolliert wird, gebe es altersmäßig nach unten praktisch keine Grenzen. Das gilt auch in anderer Hinsicht.

■ Unkontrollierte Kontakte

Reihenweise beanstandet haben die Tester hohen Spiel- und Kaufdruck sowie kindergefährdende Inhalte. Neben purer Gewalt waren das Rechtsextremes oder unkontrollierte Kontaktmöglichkeiten per Chatfunktion. Letzteres betraf jedes zweite getestete App-Spiel. Martin Gobbin prangert vor allem auch Inhalte an, die von Nutzern erstellt, aber von den Spieleanbietern scheinbar unkontrolliert durchgewunken werden. „Wir haben Nutzernamen wie Sieg Heil oder Judenkiller 88 gefunden“, erzählt der Multimedia-Experte.

Eine Spielergruppe habe sich „Gegen Juden“ genannt, obwohl Anbieter per Wortfilter solche Namen problemlos löschen könnten. Man habe auch mitbekommen, wie ein Kind von einem Unbekannten nach seiner Telefonnummer gefragt wurde und sie im Chat dann genannt habe. „Das ist Cybergrooming, das Anbahnen von sexuellen Kontakten im digitalen Raum“, sagt Gobbin. Selbst dagegen unternehmen Anbieter häufig nichts, zeigen die Testerfahrungen. Eine Nutzergruppe habe sich sogar offen „Minor Abuser“ genannt, also übersetzt jemand, der Minderjährige missbraucht. Ein Bild in einer von Dritten erzeugten Spiele-Szene habe Oralsex am Pool gezeigt. Das Spiel war offiziell ab zwölf Jahren freigegeben.

■ Druck auf Spieler

Der Horrorkatalog der Warentester ist damit aber noch nicht zu Ende. „Es wird großer Druck ausgeübt, ein Spiel nicht zu beenden und täglich zu spielen“, kritisiert Brackemann die Geschäftsmodelle. Wegen begrenzter Impulskontrolle von Kindern funktioniere das besonders gut. Wer ein Spiel unterbricht, werde im Spielstand zurückgesetzt oder man erhalte Boni als Belohnung für tägliches Zocken. Wird als Gruppe gespielt, erzeugten solche Mechanismen Gruppenzwang, für den Kinder besonders empfänglich seien. Ein Spiel habe stündlich Pushnachrichten mit der Aufforderung zum Weiterspielen gesendet, ergänzt Gobbin. Elf der 16 Spiele würden mit solchen oder ähnlichen Methoden arbeiten.

■ Teure In-App-Käufe

Mit Kaufdruck operierten 15 der 16 Spiele-Apps, sagen die Tester. Dabei seien sie erst mal umsonst. „Anfangs sehen wir guten Spielfluss, dann stockt es“, beschreibt Brackemann die Beobachtungen. Mit virtuellen Waffen, Kleidung oder Edelsteinen komme wieder Schwung ins Spiel. Die aber kosten Geld. Wieviel wird durch fiktive Spielwährungen verschleiert. „Kinder lassen sich verführen“, weiß Brackemann. Bis zu 240 Euro könne man auf einen Schlag per In-App-Kauf loswerden.

Manchmal wisse man nicht einmal, was gekauft wird. Per Glücksrad oder Beutekiste erwerben Spieler in solchen Fällen eine Wundertüte unbekannten Inhalts. In Belgien seien solche Praktiken als Glücksspiel für Minderjährige verboten. In Deutschland ist das noch möglich. 13 der 16 App-Spiele würden mit manipulativen Methoden arbeiten, um Kindern das Geld aus der Tasche zu ziehen, sagen die Tester. Gobbin zeigt eine Spieleszene mit einem hungerbedingt traurig dreinblickenden Fuchs. Das Füttern des Tieres sei dann zahlungspflichtig. Die 16 getesteten Spiele-Apps für Android wurden nach Markterfolg und Empfehlungen aus der kindlichen Zielgruppe heraus ausgewählt.

■ Nur eine Ausnahme

„15 von ihnen sind nicht akzeptabel für Kinder“, lautet Brackemanns Urteil. Das sei in dieser extremen Ausprägung ein sehr ungewöhnliches Testergebnis. Einzige Ausnahme sei das App-Spiel „Minecraft“ gewesen, das man aber auch nur mit Einschränkungen empfehlen könne. Hersteller habe man mit den Missständen konfrontiert, sich dabei aber nicht als Stiftung Warentest zu erkennen gegeben, sagen die Tester. „Es gab keine Reaktion oder es wurde nichts geändert.“

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