Kein Casino: Die Börse in Frankfurt. © Boris Roessler/dpa
München – Fragt man Ralf Fleischer, was eigentlich so problematisch an mangelnder Finanzbildung sein soll, kann er sich kaum bremsen. „Die Finanzbildung ist der Schlüssel zu einem selbstbestimmten Leben, gesellschaftlicher Teilhabe und Chancengleichheit“, sagt der Chef der Stadtsparkasse München. Und das sei noch längst nicht alles. Geldprobleme könnten teilweise zu psychischen und gesundheitlichen Problemen führen. Fehle plötzlich Geld, werde der Sportverein gekündigt, falle der Gang zum Stammtisch aus oder könne das Kind nicht mit den Freunden ins Kino oder ins Ferienlager. Im schlimmsten Fall würden sogar Ehen und Familien zerstört. Und Mütter, die das Thema Finanzen in der Beziehung dem Mann überlassen hätten, stünden im Falle einer Scheidung oft vor dem Nichts. „Diese nachgelagerten Folgen von Geldproblemen werden oft völlig unterschätzt“, sagt Fleischer, der schon viele bestürzende Fälle in seiner mehr als 40-jährigen Berufslaufbahn gesehen hat. „Die Wurzel des Übels ist oft, dass sich die Leute nie mit ihren Finanzen beschäftigen wollten – oder sich einfach nicht auskannten.“
■ Haarsträubende Ahnungslosigkeit
Während die Deutschen sich auf den Kauf eines neuen Autos meist akribisch vorbereiten, drücken sie sich ebenso leidenschaftlich darum, sich mit ihren Finanzen auseinanderzusetzen. Das Ergebnis ist eine oft haarsträubende Ahnungslosigkeit in Finanzdingen, die bereits in unzähligen Studien belegt ist. In einer Umfrage der Finanzaufsicht Bafin und der OECD aus dem Jahr 2022 schätzten zwar über acht von zehn Befragten in Deutschland ihr Finanzwissen mindestens als durchschnittlich ein. Dennoch hielt ein Drittel Kryprowährungen für ein gesetzliches Zahlungsmittel und zwei von zehn konnten nicht einmal einfachste Zinsen und Renditen berechnen. Insgesamt beantworteten in der repräsentativen OECD-Erhebung nur 21 Prozent der Deutschen zehn simple Fragen richtig. Und in einer aktuellen Umfrage des Bankenverbandes vom September gaben 44 Prozent der Befragten zu, dass sie sich nicht regelmäßig mit ihren Finanzen beschäftigen – geschweige denn, sich grundsätzlich mit dem Thema Geld auseinandersetzen. So konnte nur ein Drittel benennen, wie hoch die Inflationsrate aktuell ist. Und über die Hälfte hatte keine Ahnung, was an der Börse passiert.
■ Acht Prozent gelten als überschuldet
Die Folge: Rund 5,65 Millionen deutsche Verbraucher sind aktuell überschuldet, das sind etwas mehr als acht Prozent der Bundesbürger. Damit ist die Zahl zwar erneut leicht gesunken, dennoch ist sie nach wie vor viel zu hoch. Und auch Personen, die eigentlich genug Einkommen haben, trifft die finanzielle Bildungsmisere häufig. Erschreckend viele Menschen leben von der Hand in den Mund, laut Statistischem Bundesamt kann ein Drittel der Haushalte schon unerwartete Ausgaben in Höhe von 1150 Euro nicht mehr bewältigen – das entspricht etwa dem Gegenwert eines Kühlschranks und eines Satzes neuer Winterreifen. „Das ist wirklich bedenklich“, sagt Sparkassen-Chef Fleischer. Außerdem lässt nach wie vor die Mehrzahl der Deutschen ihr Geld auf dem Sparbuch verrotten, weil sie die Börse immer noch für ein Casino hält. Selbst mit einem plötzlichen Geldsegen wie einem Erbe sind viele überfordert und sitzen panisch vor dem Geld wie ein Kaninchen vor der Schlange.
■ Problem für öffentlichen Wohlstand
„Mit einer besseren Finanzbildung könnte man viele Schuldenprobleme verhindern und den Wohlstand in Deutschland sichern oder sogar steigern“, sagt Sparkassen-Chef Ralf Fleischer. Mit dieser Meinung ist er nicht allein. Wissenschaft und Politik haben die deutsche Schwäche bei der Finanzbildung ebenfalls erkannt und wollen gegensteuern. Nur ein Beispiel: Erst vor Kurzem forderten die Wirtschaftsweisen genannten Top-Ökonomen, der Bund solle Eltern monatlich kleine Geldbeträge überweisen, die deren Kinder in Aktienfonds stecken sollen. Damit würden Kinder und Eltern positive Erfahrungen an der Börse machen und so im besten Fall aus der Verweigerungshaltung gelockt. Die Wirtschaftsweisen verwiesen dabei darauf, dass nur 27 Prozent des deutschen Finanzvermögens in Aktien investiert ist – nicht einmal halb so viel wie in den USA oder Skandinavien, was auch für den gesellschaftlichen Wohlstand zum Problem wird. So gehört nicht einmal jede zweite Aktie im deutschen Leitindex Dax einem deutschen Investor. Und während die Bundesbürger über den Ausverkauf der deutschen Wirtschaft jammern, überweisen derzeit allein die Dax-Konzerne 26 Milliarden Euro an Dividenden pro Jahr ins Ausland.
■ Mehr Angebote an Schulen gefordert
Und die Deutschen? Die Hälfte ist laut einer Deka-Umfrage unzufrieden mit ihrer eigenen Altersvorsorge und macht sich Gedanken über die Zukunft. Laut Bankenverband wünschen sich zudem drei Viertel, dass in der Schule mehr über Umgang mit Geld gelehrt und gesprochen wird. Doch die Mühlen der Politik mahlen langsam. Die Bundesregierung arbeitet als letzte Industrienation unter den G20 zwar endlich an einer Strategie zur Finanzbildung. Höhepunkt war bisher aber neben einem rauschenden aber der Öffentlichkeit verborgen gebliebenen „Festival der Finanzbildung“ die Tatsache, dass die OECD der Bundesregierung Ende September feierlich erste Vorschläge übergeben hat, wie man so eine Strategie denn prinzipiell gestalten könnte.
„Es ist gut, dass die Bundesregierung das Thema Finanzbildung nach Jahrzehnten des Nichtstuns endlich als Handlungsfeld erkannt hat“, sagt Sparkassen-Chef Ralf Fleischer. Er fragt sich auch, ob die Politik nach der Finanzkrise mit ihrer strengen Regulierung von Banken und Finanzprodukten den Deutschen die Verantwortung vielleicht auch ein stückweit genommen habe. Er hofft zwar, dass es bald mehr Bildungsangebote gibt, doch mit einem baldigen Unterricht zum Thema Geld in den Schulen rechnet er nicht. „Deshalb müssen wir alle etwas tun: Die Banken, die Politik, aber auch die Medien“, sagt der Finanzprofi.
ANDREAS HÖSS
Serie zurfinanziellen Bildung
In einer Serie anlässlich des 100. Weltspartags geben wir Tipps zur Geldanlage für Kinder, dem Umgang mit einem Erbe, den Finanzangelegenheiten in der Ehe, strukturiertem Sparen und zu Wegen aus der Überschuldung.
Im nächsten Teil geht es um das Thema „Plötzlich reich“ – was tun mit dem Geld aus Erbschaft oder Versicherung.