Junge Menschen bis 30 neigen nach Expertenangaben häufig dazu, sich mit Konsumkäufen zu verschulden. © Panthermedia
Über Schulden spricht niemand gern, in der Gesellschaft sind sie aber ein großes Problem. Weshalb das so ist, weiß Christine Steinle. Sie ist Schuldenberaterin und leitet Präventionskurse für Kinder und Jugendliche. Im Interview erklärt sie, wo die größten Schuldnerfallen lauern.
Frau Steinle, erzählen Sie aus Ihrer Praxis: Welche Menschen haben Probleme mit Schulden?
Schulden können fast jeden treffen. Junge Menschen bis 30 neigen vermehrt dazu, sich mit Konsumkäufen zu verschulden. Wenn dann ein überraschendes Ereignis im Leben dazukommt, etwa eine Mieterhöhung oder eine hohe Zahnarztrechnung, dann können die Raten oft nicht mehr bezahlt werden.
Konsum klingt fast harmlos, von welchen Dimensionen sprechen wir da?
Es geht um Kleidung, Möbel, eine Fernreise, aber auch um sehr ernste Themen wie Trennung, Sucht und Arbeitsplatzverlust. In München sind beispielsweise die monatlichen Fixkosten für Miete und Energie sehr hoch. Wenn das verfügbare Budget dann noch weniger wird, rutscht man schnell in eine Verschuldungs- oder Überschuldungssituation.
Ab wann ist es denn eine Überschuldung?
Überschuldung liegt vor, wenn man seine Rechnungen oder Kreditraten nicht mehr bezahlen kann. Spätestens jetzt sollte man sich Hilfe in einer Schuldnerberatung holen. Generell gilt. Je früher, umso besser.
Passiert es oft, dass Menschen den Kopf in den Sand stecken?
Schulden werden manchmal verdrängt. Wenn ich nicht auf mein Konto schaue oder die Post nicht öffne, dann gibt es sie nicht! Der Faktor Zeit spielt aber eine große Rolle bei der Rückzahlung von Schulden – einfach aussitzen ist eine sehr schlechte Idee. Viele Gläubiger lassen Mahn- oder Vollstreckungsbescheide ausstellen. Das Gehalt oder das Konto kann gepfändet werden. Diese Maßnahmen lassen den Schuldenberg durch weitere Kosten und Gebühren zusätzlich anwachsen. Schulden können auch krank machen – sie stellen im Leben jedes Einzelnen eine große Belastung dar.
Ich finde es interessant, dass wir über kleine Konsumkredite sprechen, aber nicht über die sechsstelligen Darlehen für Immobilien. Ist das kein Thema?
Wer sich heute in München noch eine Wohnung kaufen kann, hat in der Regel Eigenkapital zur Verfügung. Eine seriöse Bank erstellt für einen Kredit nach intensiver Prüfung einen realistischen Tilgungsplan. Bei Kleinkrediten oder Ratenkäufen wird nicht so groß geprüft, die werden einem förmlich aufgedrängt. Bezahldienste wie Klarna oder PayPal bieten an, die Ware jetzt zu kaufen und später zu bezahlen. Das ist eine große Verführung.
Wie kommt man aus den Schulden raus?
Am besten vereinbart man frühzeitig einen Termin bei einer kostenlosen Schuldnerberatung. Anbieter sind zum Beispiel die Landeshauptstadt München, die Diakonie oder die Caritas. Die Arbeiterwohlfahrt (AWO) bietet zusätzlich Jugendschuldnerberatung bis 25 Jahre an. Im Jugendinformationszentrum (JIZ) in der Münchner Innenstadt gibt es jeden Donnerstag von 16 bis 18 Uhr eine Erstberatung ohne Anmeldung. Es gibt auch kostenpflichtige Beratungsangebote. Wichtig ist, dass zum Erstgespräch alle relevanten Unterlagen, wie Kontoauszüge, Rechnungen oder Mahnschreiben vorliegen. Die Berater nehmen dann Kontakt zu den Gläubigern auf und versuchen eine außergerichtliche Lösung zu erzielen.
Und wenn man partout nicht zahlen kann?
Dann kann ein gerichtliches Verfahren eröffnet werden – das Privatinsolvenzverfahren. Am Ende des Verfahrens steht die Restschuldbefreiung. Dies ist frühestens nach drei Jahren möglich.
Um das zu verhindern: Wie können junge Menschen ihre Finanzen ordnen?
Wer ohnehin schon merkt, dass er mit seinem Geld schlecht über die Runden kommt, sollte auf jeden Fall einen Haushaltplan oder ein Haushaltsbuch führen. Das schafft einen klaren Überblick! Ganz wichtig auch: mindestens einmal wöchentlich den eigenen Kontostand checken!
Gibt es auch technische Hilfsmittel für den Haushaltsplan?
Der Verbraucherservice Bayern (VSB) bietet eine Haushaltsplaner-App an, die sich kostenlos in den jeweiligen App-Stores herunterladen lässt. Ein Trend ist neuerdings auch Cash Stuffing, das vor allem junge Leute auf Instagram, TikTok oder YouTube verbreiten. Es werden Briefumschläge mit Miete, Versicherung, Essen, Urlaub usw. beschriftet und das Geld am Monatsanfang gleich entsprechend eingeteilt. Wen welche Form der Haushaltsplanung anspricht, ist sehr individuell. Wichtig ist, dass jeder und jede den finanziellen Überblick behält und so auch eventuelle Schulden begleichen kann.
Was tun, wenn ich wenig Geld, aber teure Wünsche habe?
Ich glaube, es ist wichtig, dass Menschen Wünsche und Träume haben und diese sich auch gelegentlich erfüllen. Die Frage ist allerdings, ob es immer die teuersten Reisen, Kleider, Handys sein müssen. Eine Reise in die Umgebung kann auch große Glücksgefühle auslösen. Second-Hand-Läden können eine wahre Fundgrube sein und ein Vorgängermodell beim Handy ist auch nicht viel schlechter als das neueste – dafür aber günstiger!
Und wenn ich mir wirklich Geld besorgen muss, weil mein Auto kaputtgeht?
Dann ist über einen Kredit im Einzelfall zu entscheiden. Grundsätzlich gilt, dass der Kreditgeber seriös sein muss, die Zinsen und Raten bezahlbar und auf die individuelle Finanzsituation des Kreditnehmers abgestimmt. Kleinere Summen können vielleicht auch die Familie oder sehr gute Freunde leihen. Geld ist in unserer Gesellschaft leider immer noch ein Tabuthema.
Kommt der Schuldner seinen Verpflichtungen nicht nach, kann das die Freundschaft belasten. Wie vermeidet man das?
Unterschreiben Sie zum Beispiel keine Bürgschaft. Im Falle der Zahlungsunfähigkeit muss der Bürge die Rückzahlung des geschuldeten Betrages voll übernehmen. Die finanzielle Situation des Bürgen, also des Freundes oder der Freundin, ist ohne Gegenleistung schwer belastet.
VON MATTHIAS SCHNEIDER