DIE BÖRSENWOCHE

Der faire Wert von Unternehmen

von Redaktion

Hohe Energiepreise, ausufernde Bürokratie, chaotische Regierungsentscheidungen, Fachkräftemangel, Krise der Automobilindustrie – alles scheinbar egal, die deutschen Aktien im Dax 40 haben im Jahr 2024 mit einem Wertzuwachs von 18 Prozent überraschend gut abgeschnitten. Von dieser Performance entfallen 15 Prozent auf Kursgewinne und drei Prozent auf Dividendenausschüttungen. Die gute Entwicklung lässt sich also nicht dadurch erklären, dass die meisten Unternehmen aus der Vergangenheit noch hohe Auftragsbestände abarbeiten und entsprechende Gewinne erzielen konnten. Die Dividendenausschüttungen mit nominal 55 Milliarden Euro stellten einen Rekord in der Geschichte des Dax dar, aber bezogen auf die aktuellen Aktienkurse ist das Schnee von gestern.

Vielmehr erklären sich die 18 Prozent Plus vor allem dadurch, dass die Firmenbewertungen gemessen an den Aktienkursen um 15 Prozent gestiegen sind. Diese Bewertungen basieren auf den langfristigen Gewinnerwartungen der Unternehmen. Da die zukünftigen Gewinne unsicher sind, kommen verschieden Marktteilnehmer zu verschiedenen „fairen“ Bewertungen der Unternehmen, was den regen Handel an der Börse erklärt.

In der Theorie werden bei der Ermittlung des Unternehmenswertes die Unternehmensgewinne der kommenden Jahre geschätzt und auf den heutigen Barwert abgezinst. Letzteres ist erforderlich, da 100 Euro Gewinn in zehn Jahren weniger wert sind als 100 Euro sofortiger Gewinn. Der geringere Wert begründet sich wie folgt: Risikofreie Anleihen liefern aktuell 2,5 Prozent Verzinsung, sodass heute 78 Euro in zehn Jahren so verzinst gerade sichere 100 Euro ergeben. Der Barwert von 100 Euro in zehn Jahren auf heute abgezinst beträgt in diesem Beispiel also 78 Euro.

Dies ist relevant, da die Höhe der risikolosen Zinsen damit starken Einfluss auf die Unternehmensbewertungen hat. Je höher der Zins, desto geringer der Wert zukünftiger Gewinne, desto niedriger die faire Unternehmensbewertung. Allein aus diesem Grund müssten die Unternehmensbewertungen zum Jahresanfang 2025 deutlich niedriger sein als noch vor einigen Jahren mit negativen risikolosen Zinsen. Anfang 2022 hatten wir Nullzinsen und 100 Euro heute ergaben in zehn Jahren immer noch 100 Euro. Insgesamt gibt es für das herausragend gute Börsenjahr 2024 damit nur eine vernünftige Begründung: An den Märkten ist man sehr optimistisch, dass Deutschland mit neuer Regierung wieder zu alter Wachstumsstärke zurückfindet. Und bekanntlich haben die Märkte ziemlich oft Recht. Eine gute Gelegenheit, sich vom Optimismus anstecken zu lassen und das neue Jahr gut gelaunt anzugehen. Vermutlich aber keine gute Gelegenheit, bei den jetzigen Bewertungen in den Dax zu investieren. Die Märkte können sich auch irren.

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