Das Staatliche Textil- und Industriemuseum Augsburg (tim) hält sich an den Leitfaden „Mensch, Maschine, Mode“. Jetzt kommt „Mythos“ dazu. Das ist indes nicht der Mythos der einstigen Textilmetropole Augsburg, sondern jener Komplex an Erzählungen, der um Europa gewebt wurde und bis heute die stabile Textur unserer Identität bildet. Diesen Stoffen spürt die Münchner Künstlerin Beate Passow nach. Karl Borromäus Murr, Chef des tim, wurde auf sie aufmerksam, weil sie ihre konzeptionellen Arbeiten öfters mit Textilien realisiert. Mit der Ausstellung „Monkey Business – Textile Arbeiten von Beate Passow“ kann er jetzt seinem Haus im Augsburger Textilviertel ein weiteres bemerkenswertes Profil verschaffen, und zwar im Hinblick auf die Kunst. Das schreit nach einer Fortsetzung, zumal die aktuelle Schau wunderbar funktioniert, obwohl die Präsentation im Foyer nicht ideal gestaltet ist.
Das Textil- und Industriemuseum kann sich jedoch damit brüsten, eine Uraufführung zu bieten: Passow hat extra fürs tim einen Zyklus von fünf Werken entwickelt. Der Impuls dazu sei von den exzessiven Diskussionen um die europäischen Grenzen gekommen, sagt die Künstlerin, die heuer den Gabriele-Münter-Preis erhalten hat. Und so ist das Initialbild der Serie ein Blick auf die Grenze zwischen Europa und Afrika. Im Internet fand die Münchnerin das Foto eines Berberaffen, der auf den Kanonen des Gibraltar-Felsens hockt und sinnend in die Gegend blickt. Die surreale Szenerie von exotischer Natur und Hochhausverbauung verfremdet Passow durch das textile Material und die entsprechende Technik. Früher kombinierte sie meist Seide und Stickerei, das tim macht nun richtigen Luxus möglich. Das Foto wurde dank des museumseigenen Webers Arthur Geh zu einer veritablen Tapisserie.
Die Künstlerin erliegt dabei nicht der Versuchung, sich in Farbspielen zu verlieren und damit der Tapisserie-Tradition hinterherzuhecheln. Sie belässt es bei Schwarz-Weiß und damit bei der optischen Täuschung, eine vergrößerte Zeitungsfotografie vor sich zu haben. Erst wenn man näher tritt, werden die Fäden lebendig, zerfallen die Grautöne in Weiß und Schwarz, wird die Virtuosität des Gemäldewebens sichtbar. Schade ist, dass ausgerechnet das Textilmuseum nur knapp über die Geschichte der Tapisserie und gar nicht über deren Technik und die Eigenleistung des tim informiert. Ein Manko, das auch der Katalog nicht behebt.
Vom Affen – kein Europa-Mythos – kommt Beate Passow dann doch zu Viechern, die im Abendland als Symbole herhalten. Da bespringt in „Wall Street“ ein echter Bär einen bronzenen Stier – und löst doppelte Überlegungen aus. Paaren sich da nun auf eigenartige Weise Aktienbaisse und -hausse, oder vergewaltigt der russische Bär Europas Stier? Noch ungemütlicher wird’s mit den schlauen Plüsch-Füchsen vor dem Brüssler Atomium. Sie zeigen den Hitlergruß. Damit ist Passow ein scharfsinnig analysierender Kommentar zu den auf Lügen aufgebauten nationalistischen Entwicklungen in vielen Ländern Europas gelungen. Dazu passt das Kentauren-Skelett, das auf Lampedusa apokalyptisch über Wracks von Flüchtlingsbooten galoppiert. Der einzige Mensch, dem wir begegnen, ist eine Frau in den Ruinen von Knossos, die dem sterbenden Minotaurus (Stiermann) einen Sex-Tanz vorführt. Die Europa-Bilanz „Monkey Business“ (fauler Zauber), die Passow zieht, ist nicht gut – schaut jedoch gut aus. Vor allem kann der Besucher fast so viele Denk-Fasern daran knüpfen, wie das jeweilige Bild Fäden hat.
Dieser sehr aktuelle Zyklus wird in der Schau reichhaltig ergänzt: Es werden acht Arbeiten aus der „Wanted“-Serie der gestickten Fahndungsplakate gezeigt (2015/ 2017) – von Ulrike Meinhof (RAF, 1970) über die NSU-Mörder (2011) bis zu Abdeslam Salah (Paris-Anschlag, 2015). Ebenso vielfältig sind die Beispiele der gestickten Kreditkartenabrechnungen (2009), die die Geschichte einer munter durch die Welt reisenden Kunstsammlerin erzählen. Pfiffige Akzente setzen schließlich die „Burkabarbies“ (Multiples, 2017) und die gestickten Schriftstücke von Benn, Trakl und Jünger.
Bis 1. April 2018,
Di.-So. 9-18 Uhr; Augsburg, Provinostraße 46, Katalog, Hirmer: 24,95 Euro; freier Eintritt; Tel.: 0821/ 81 00 150.