Sind es womöglich nur Entzugserscheinungen, oder jagt bei den Salzburger Festspielen tatsächlich ein musikalisches Großereignis das nächste? Die Antwort auf diese nicht ganz unberechtigte Frage liegt wahrscheinlich – wie so oft im Leben – irgendwo in der Mitte. Denn nach Monaten des Konzertentzugs hatten sich die Erwartungen des Publikums tatsächlich noch einmal zusätzlich hochgeschaukelt. Ein Druck, dem nun allerdings sowohl die Wiener Philharmoniker als auch Christian Thielemann souverän standhielten, die sich am Ende ihres gemeinsamen Auftritts von den dankbaren Zuhörerinnen und Zuhörern im Großen Festspielhaus frenetisch bejubeln lassen durften.
Sicher, man hat seit März wirklich schon fast vergessen, wie eine groß besetzte Sinfonie wie Anton Bruckners Vierte live im Saal klingen kann. Oder wie es sich anfühlt, wenn die Blechbläser machtvoll losdröhnen und die Sitze zum Vibrieren bringen. Doch wäre es falsch, die Ovationen einzig über die martialischen Klangeruptionen zu erklären, die Thielemann unter anderem im dritten Satz erbarmungslos entfesselte. Denn obwohl er keineswegs vor dem großen romantisierenden Gestus zurückschreckte, lag die eigentliche Kraft seiner Lesart gerade in den feinen dynamischen Abstufungen, die er dem Orchester von Anfang an zu entlocken verstand. Der Dirigent zeigte sich einmal mehr als Genießer, der bei aller Liebe zum Detail nie den großen Bogen aus den Augen verlor und die einzelnen Sätze klar strukturierte.
Als Prolog hierzu war man bereits in den Genuss von Elina Garanča gekommen, die eine fein artikulierte Interpretation der Wesendonck-Lieder vorgestellt hatte. Einfühlsam begleitet von Christian Thielemann, der es auch hier wieder einmal verstand, mit seiner Solistin zu atmen, ihr alle Freiheiten und ihren kostbaren Mezzo in sanften Schattierungen leuchten zu lassen. Sei es bei den „Schmerzen“, bei denen ihre Stimme ausdrucksvoll klagend über dem Orchester schwebte oder in den weich und entspannt angegangenen „Tristan“-Studien „Im Treibhaus“ und „Träume“.
Große Kunst auf großer Bühne, so kennt und schätzt man Salzburg. Doch naturgemäß dominieren auch hier in diesem Sommer vor allem die kleiner dimensionierten Kammerformate. So unter anderem am Abend vor der Wiener Klangoffensive, als Altmeisterin Martha Argerich und Renaud Capuçon im Haus für Mozart aufeinandertrafen. Zwei Künstlerpersönlichkeiten aus unterschiedlichen Generationen, die sich dennoch nur selten aneinander rieben, sondern in ihren Charaktereigenschaften eher ergänzten. Deutlich zu sehen bereits bei der einleitenden Hommage an Ludwig van Beethoven, dessen Geburtstagsfeierlichkeiten vom Virus ja ebenso klein geschrumpft wurden wie die Salzburger Jubiläumsfestspiele.
Ohne viel Tamtam stürzte sich Argerich mit lockerem Anschlag auf die Sonate für Klavier und Violine Opus 30/3 und forderte damit auch ihren Partner heraus, der mit sanftem Bogenstrich im Mittelteil noch die eine oder andere Träne verdrückte, sich aber doch schnell von der schlichten, aber bestimmten Herangehensweise anstecken ließ. Dies schien aber beinahe nur ein Warmlaufen für das mit deutlich mehr Schauwerten ausgestattete Opus 94a aus der Feder von Sergej Prokofjew, das im kontrastreich ausgestalteten Scherzo sowie dem nicht minder aufregenden Finalsatz als Wettstreit zweier Virtuosen inszeniert wurde, bei dem sich das Duo mit Mut zum Risiko gegenseitig in neue Höhen trieb und dafür atemloses Staunen des Publikums erntete.
Wie beim folgenden Auftritt der Wiener Philharmoniker war es aber auch bei diesem klug zusammengestellten Programm weniger das Spektakel, das sich nach dem Verlassen des Festspielbezirks im Gedächtnis eingegraben hatte, sondern an erster Stelle die von ruhigen, in sich gekehrten Momenten bestimmte Sonate in A-Dur von César Franck. Ein Werk, das Argerich und Capuçon erfreulich unaufgeregt und mit langem Atem in Angriff nahmen. Eine Taktik, mit der sie beim andächtig lauschenden Publikum ebenfalls offene Ohren fanden.