Tropfenweise Wagner

von Redaktion

BAYREUTHER FESTSPIELE Die brave Bebilderung der „Walküre“ durch Nitsch

VON TOBIAS HELL

Die Verpflichtung bildender Künstlerinnen und Künstler hat bei den Bayreuther Festspielen schon lange Tradition. Man denke etwa an die suggestiven Räume, die einst Günther Uecker oder jüngst Neo Rauch für „Lohengrin“ schufen, oder an rosalie, an deren „Ring“ aktuell eine Ausstellung der Villa Wahnfried erinnert. Hier reiht sich nun auch der österreichische Aktionskünstler Hermann Nitsch ein, der mit seinem „Orgien Mysterien Theater“ ähnlich wie Wagner gern in den Dimensionen des Gesamtkunstwerks denkt.

Was auf der Bühne des Festspielhauses im Hintergrund einer mehr oder minder konzertanten „Walküre“ abläuft, hat allerdings über weite Strecken weder Orgiastisches noch Mystisches zu bieten, sondern wirkt für einen ehemaligen Provokateur reichlich brav. Dabei hätte sich das Ausweiden von Tierkadavern diesmal sogar aus dem Libretto rechtfertigen lassen. Beispielsweise mit Frickas selten zu sehendem Widdergespann oder den meist ebenso abwesenden Rössern der Walküren. Doch bei solch Blutrünstigem wären Tierschützer wohl mit Recht auf die Barrikaden gegangen.

Daher spult eine Gruppe Mal-Assistenten eben das ab, was man von Nitsch seit Jahrzehnten kennt. Und was sich auf den ersten Blick – ebenso wie auf den zweiten – kaum von Messiaens „Saint François d’Assise“ unterscheidet, den er 2011 an der Bayerischen Staatsoper illustrierte. Eimerweise Farbe wird da wieder die bühnenhohen weißen Wände heruntergegossen, auf dem ebenfalls weißen Boden verschüttet, mit Händen verschmiert oder mit Besen verstrichen. Anfangs ist das nur ein grünes Rinnsal, das den sterilen Raum „entweiht“, ehe sich die folgenden Stunden stetig wandelnde Bilder ergeben. Man glaubt Nitsch, dass er sich auf Wagners Werk einlassen wollte. Es ist sehr wohl zu registrieren, wie sich an emotionalen Wendepunkten oder beim Auftauchen markanter Motive Farbtöne ändern. Anderes, wie die Kreuzigungsszenen oder die zum Feuerzauber hochgestreckte Monstranz, wirken dagegen eher dem vertrauten Nitsch-Kanon als der Partitur verpflichtet und zu beliebig.

Ärgerlich sind aber vor allem die Nebengeräusche der Malaktion. Wenn wieder und wieder an Pianissimo-Stellen oder Generalpausen Farbe auf den Boden geklatscht wird, erzeugt dies selbst bei sonst andächtig lauschenden Wagnerianern genug Aggressionen, sodass Nitsch am Ende doch noch Buhs erntet.

Wie Dirigent Pietari Inkinen bei seinem Hügel-Debüt mit feinen dynamischen Abstufungen zu zaubern versucht, lässt sich ungestört nur in der „Todesverkündigung“ wahrnehmen, während der das Tropfen und Platschen kurz pausiert und die lethargisch schlurfenden Maler-Gesellen mit Aufwischen beschäftigt sind. Dass auch Inkinen vom Publikum hart abgestraft wird, liegt wohl in erster Linie an den lähmenden Tempi, mit denen sich das orchestrale Geschehen dahinschleppt. So gelingen zwar immer wieder wunderbare Einzelmomente, etwa im Finale des ersten Aufzugs oder beim Dialog zwischen Wotan und Brünnhilde. Was den großen Spannungsbogen angeht, bleibt bis zum nächsten Jahr, wenn der Finne nach diesem Testlauf den kompletten „Ring“ leiten soll, aber noch einiges an Straffungspotenzial.

Immerhin: Inkinen bietet ein meist sängerfreundliches Dirigat und ermuntert selbst robustere Stimmen, wie die etwas flackerig intonierende Brünnhilde von Iréne Theorin und den machvollen Hunding von Dmitry Belosselskiy, sich zurückzunehmen und nicht permanent durchzupowern. Von diesem Ansatz profitiert auch Klaus Florian Vogt, der einen liedhaften, keusch werbenden Siegmund singt, dem es aber gerade für diese Rolle in den unteren Lagen an Substanz fehlt. Anders als die vom Publikum lautstark gefeierte Lise Davidsen, die ihren voluminösen, dunkel getönten Sopran souverän übers Orchester hinweg strahlen lässt.

Wenig Probleme sich durchzusetzen hat Tomasz Konieczny, der als Wotan den kurzfristig ausgestiegenen Günther Groissböck ersetzte und trotz einiger unschöner Vokalverfärbungen um kultivierte Stimmführung bemüht war. Wenig homogen das Oktett der Walküren, die bis zum nächsten Sommer hoffentlich auch noch etwas mehr zusammenwachsen.

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