Ein Münchner in Paris. Klingt wundervoll, war aber knapp zehn Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg ziemlich kühn. Der junge Mann, der zwar mit einem Schrapnell im Kopf, aber gerade noch lebend aus dem Gemetzel zurückgekehrt war, wagte es. Genauso wie er es wagte, Künstler zu werden. „Er ist in Paris, weil er nicht in Deutschland sein will“, so die These, die Lenbachhaus-Chef Matthias Mühling für die Ausstellung „Günter Fruhtrunk – Die Pariser Jahre (1954-1967)“ formuliert.
Heuer am 1. Mai wäre der Maler und Hauptvertreter der Konkreten Kunst 100 Jahre alt geworden. Aus dem Leben schied der Versehrte 1982, er ist indes gerade in München immer präsent geblieben. Nicht nur weil er von 1967 bis zu seinem Tod Professor an der Kunstakademie war, sondern auch weil das Lenbachhaus sein Werk, dessen Präsentation und den Nachlass kontinuierlich gepflegt hat.
Jetzt ist Kuratorin Susanne Böller einen Schritt weiter gegangen und hat sich für die „Pariser Jahre“ durch alle erreichbaren Archive gegraben. So kann die Städtische Galerie neben der Schau im neunten Band ihrer Edition Günter Fruhtrunk und dessen Rezeption ausführlich zu Wort kommen lassen. Mühling unterstreicht, dass die Freundschaften, die der Deutsche in Frankreich schloss, und seine geometrische Ungegenständlichkeit zwei Befreiungsschläge waren. In der Tat wird in beidem der Friede mit den (westlichen) Völkern quasi zum Gemälde und zugleich mit den östlichen Völkern durch die Verwandtschaft zum Konstruktivismus (den die Sowjetunion allerdings längst verfolgte). Wie es die Avantgarde vor dem Krieg postulierte, musste Kunst übernational sein.
Das Schöne bei bildender Kunst ist, dass sie nicht lang rumlabert, sie zeigt einfach. Und gegenstandslose Kunst zeigt: nur sich selbst. Sie erzählt keine Geschichten, ist keine Spielwiese für Rätselratende oder Gscheidhaferl; sie ist. Fruhtrunk wollte dabei so konsequent wie möglich sein. Nicht mal der Pinselstrich sollte auf die schöpferische Hand verweisen oder gar auf die Gefühle des an ihr hängenden Menschen. Bloß kein Getue. Dafür Freiheit. In Paris, wo man diese Richtung „abstraction froide“ (kühle Abstraktion im Gegensatz zum Informel) nannte, wurde der Münchner energisch unterstützt und konnte bald ausstellen.
Eingeleitet wird die Exposition im Lenbachhaus von den zehn Siebdrucken der Mappe „Metastabile Kompositionen“ (1963). Die für Fruhtrunk so typischen, meist schrägen Bänder tanzen dermaßen frech und kess, dass von Kälte nicht die Rede sein kann. Eher von heißkaltem Jazz, bei dem die Klaviertasten aus der Halterung gesprungen sind und in ganz anderen Formationen, in ganz anderen Chorus Lines eine raffinierte Musik-Choreografie aufführen. Manches flimmert einem vor den Augen à la Op Art. Dann gibt es Brechungen und Durchbrechungen der Rhythmen, Verschiebungen, Verrückungen, Verzahnungen. Und die Farben erst. Da darf es knallen. Trotzdem entdeckt man einen zarten Hauch von Gelb neben Blau oder elegantes Grau.
Das ist der Fruhtrunk, der anschließend in den Haupträumen imposant auftreten darf. Davor ist der junge Münchner noch wackelig auf den Beinen. In den frühen Fünfzigern gibt es erste Versuche mit schwammigen Geo-Formen und bereits konsequenter konstruktivistischen Rechtecken, Linien und Scheiben im diffusen Raum, immer mit gedämpften Farben. In Windeseile entstehen daraus Farbpower und durchkonstruiert klare, zugleich verzwickt komponierte Flächen, die im Kleinen wie im Großen funktionieren.
Die Gemälde drängen sich nicht auf, obwohl sie megapräsent sind (wohl deswegen wurde seine Aldi-Nord-Tüte ein Hit). Menschen, die sich Zeit nehmen, werden zur eigenen Überraschung vieles erschauen, was still und fast unsichtbar entscheidend zur Wirkung beiträgt; nichts kann ohne den Nachbarn, den Nächsten existieren. Vielleicht hat Günter Fruhtrunk ja darin die ethische Aussage seiner Kunst versteckt.
Bis 7. April
Di.-So. 10-18 Uhr; Telefon 089/23 39 69 33; Fruhtrunk-Band (Edition Lenbachhaus): 20 Euro.