Man stelle sich vor: Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron in weißem Jabot und Schnallenschuhen bei graziösen „Ports de bras“ und diesen schnell mit den Füßen ausgeführten „tendus“. Ein Witz? Im 17. Jahrhundert wäre er als maßgeblicher Politiker garantiert in den höfischen Balletten aufgetreten. Darin tanzten, man staune, zunächst nur Herren, Bewegungsenthusiasten natürlich. So wie Louis XIV (1638-1715). Mit gerade mal 15 Jahren glänzte er im „Ballet royal de la nuit“ – und das als prächtig kostümierte goldene Sonne. Den Titel „Roi Soleil“ nutzte er später auch politisch. 1669 gründete er die Nationale Akademie für Musik und Tanz, Vorläufer des Balletts der Pariser Oper.
Diese glänzende Vergangenheit der Opéra sollte in einem Ballett noch einmal wachgerufen werden. Choreograf Angelin Preljocaj wurde angefragt. Und „Le Parc“ als Blick zurück in die französische Tanzgeschichte, uraufgeführt 1994, hat das Bayerische Staatsballett mit Bravour übernommen. Anhaltender Jubel im Münchner Nationaltheater. Was dann doch ein wenig überraschte. Denn eine süffige Ballett-History erlebte man hier nicht.
Es geht zwar einerseits um leichtfertige Liebeleien einer adligen Müßig-Gesellschaft – bei einem Paar jedoch um ernsthafte Zuneigung. Dabei sind Handlung und Tänze abgezirkelt wie die kunstvollen Parkanlagen von Versailles. Eine dreiteilige Gliederung lässt sich erkennen, wobei vier Gärtner jeweils die Kapitel eröffnen. Hinzu kommt eine klare Stil-Trennung: Das adelige Personal bewegt sich im ballettklassischen Modus, gewiegt und gestreichelt von Mozart (am Pult einfühlsam Koen Kessels). Die Gärtner – schwer zu deuten, vielleicht gemeint als Seelenpfleger – agieren mit einer kantig-mechanischen, futuristischen Körpersprache. Dazu liefert Goran Vejvoda den geräuschhaften Kontrast-Sound.
Preljocaj hat sich hier den Wunsch erfüllt, in einem Stück Klassik und Moderne zu kombinieren. Das schafft einen reizvollen Gegensatz. Aber natürlich hat er auch die Klassik leicht verändert. Der Oberkörper beugt sich weit vor und weit zurück. Die Arme suchen sich andere Muster, auch in der Nähe der Folklore. Und ziemlich viel Action am Boden – sitzend, liegend, rutschend, krabbelnd – schert ebenfalls aus der Klassik aus. Aber zum Trost der Klassik-Freunde: Es gibt doch noch reichlich viel an Arabesquen, Sprüngen und Pirouetten. Und das Staatsensemble wirft sich lustvoll hinein.
Jetzt zur Handlung. Das Adelsvölkchen vertreibt sich die Zeit im Park mit geistlosen Stühlchen-wechsel-dich-Spielen. Da hängt die Aufmerksamkeit des Ballett-Fans schon mal durch. Aber man versteht: Preljocaj will offensichtlich pointiert die Sinnleere der Hofgesellschaft aufzeigen. Interessanter dann schon die Paare beim Schäferstündchen. Angelehnt an die Säulen im Park, erkunden gleich mehrere Paare Zärtlichkeiten und Küsse. Und wenn ein Schwarm hyperschicker Dämchen hereintrippelt, ist man kurz wie hypnotisiert von den schwebenden weiten Reifröcken, den Farben und Mustern der Stoffe und Hütchen.
Es tänzelt noch dieses oder jenes Divertissement über die Bühne. Aber Gefühlszentrum ist die Begegnung – in drei Etappen! – von zwei Personen mit eigener Individualität, die sich in dieser Oberflächenwelt verloren fühlen. Getanzt werden sie von zwei ersten Solisten: der immer federleichten Madison Young und Julian MacKay. Er, ganz werbender Pfau, spreizt sozusagen sein technisches Gefieder, umflattert seine Angebetete mit „grands Jetés“ und Drehungen aller Art quer über die jetzt leere Liebesarena. Sie, wohl interessiert, aber weiblich skeptisch, versinkt dann erschöpft in einen Tiefschlaf. Zu Hilfe eilen schnell die Gärtner, stützen, tragen und heben die Abgedriftete – während am Horizont düstere Wolken aufziehen. Das Lichtdesign von Chatelet/Kass erzählt immer mit.
Letzlich, also im dritten Anlauf, wird der Werbende doch erhört. In einem Pas de deux mit allen erdenklichen Hebungen und Umschlingungen versinkt das Paar wie erlöst ins gegenseitige Bekennen ihrer Gefühle. Im Fach Pas de deux ist Preljocaj ein Meister. Bei ihm wird jeder stützende Griff zum authentischen Ausdruck des Gefühls. Das Zuschauen ist nicht ganz unanstrengend. Aber durchgehalten, gewährt es einen Blick in die französische Tanzgeschichte und -ästhetik. Die kommenden Vorstellungen warten darauf, besucht zu werden!
Nächste Vorstellungen
am 1., 9., 10. und 22. Dezember; Telefon 089/21 85 19 20.