Adrenalin flutet den Körper, der Blutdruck steigt, die Muskeln sind gespannt: Eine typische Stressreaktion – die aber nicht zwangsläufig ungesund sei, beruhigt Prof. Peter Henningsen, Direktor der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie am Klinikum rechts der Isar in München. Sich blitzschnell auf Kampf oder Flucht einstellen zu können, rettete in der Urzeit vielen das Leben. Nur: Heute reagieren wir auf Abgabefristen und Konflikte ähnlich, als wäre ein wildes Tier hinter uns her. Unser Experte erklärt, warum das krank machen kann und wie Meditieren im Körper wirkt.
Wann macht Stress krank?
Zum Problem wird Stress, wenn er zum Dauerzustand wird, wenn er also chronifiziert. Betroffene stehen dann permanent unter Strom – sogar dann, wenn es gerade gar keinen Grund dafür gibt. Die Konzentration von Stresshormonen wie Adrenalin und Cortisol ist ständig erhöht –und das bleibt nicht ohne Folgen: Manche spüren, dass ihr Herz viel zu schnell schlägt, oft auch nachts. Sie schlafen schlecht, wachen morgens viel zu früh auf und sind reizbar. „Das sind typische Symptome für chronischen Stress“, erklärt Henningsen –und der könne sich negativ auf die Gesundheit auswirken. Ein Beispiel: Das Risiko eines Herzinfarkts steigt. Wer schon einen Infarkt erlitten hat, braucht länger, um sich davon zu erholen, wenn er unter chronischem Stress steht. Umgekehrt können Meditations- und Entspannungstechniken bei vielen Erkrankungen in der Therapie unterstützend wirken.
Reagiert jeder auf die gleichen Stressauslöser?
Nein. Die Schwiegermutter hat sich angekündigt und auf dem Schreibtisch türmt sich die Arbeit? Für den einen ist das Stress, ein anderer sieht es als erfrischende Herausforderung. „Was ein Stressor ist, ist sehr individuell“, sagt Henningsen. „Das ist von der Persönlichkeit abhängig und von lebensgeschichtlichen Vorerfahrungen.“ Oft helfe es schon, sich solcher Zusammenhänge bewusst zu werden. „Dadurch verlieren sie ihren belastenden Charakter.“ Unabhängig davon sollte man sich bewusst um Entspannung kümmern.
Hilft meditieren dabei?
Ja. „Meditation ist aber mehr als Entspannung“, sagt Henningsen. Es gehe dabei auch darum, sich zu sammeln und eine bestimmte geistige Haltung einzunehmen: Man besinnt sich darauf, was wirklich wichtig ist, nämlich „das momentane Erleben im Hier und Jetzt, in dieser Sekunde“. Zum entspannenden Effekt der Meditation trägt also auch diese Haltung bei. Denn dadurch ist etwa die Frage, ob die Weihnachtsgans im Ofen nun gelingt oder nicht, gar nicht mehr so wichtig.
Was verändert sich beim Meditieren im Körper?
„Die Aktivierung der Stressachsen“, erklärt Henningsen. Die Konzentration von Stresshormonen wie Adrenalin und Cortisol geht zurück, die Muskelspannung lässt nach, der Blutdruck sinkt. Wer meditiert, schärft damit aber auch seine Aufmerksamkeit und wird fokussierter. Auch das konnten Forscher in Studien nachweisen – und zwar, indem sie den Gehirnen Meditierender per funktioneller Magnetresonanztomografie quasi beim Arbeiten zugeschaut haben. Solche Aufnahmen zeigten, dass „sich die Hirnaktivität unter Meditation deutlich verändert“, sagt Henningsen. Das Gehirn sei dann mehr mit sich selbst beschäftigt als mit der Umwelt.
Kann jeder meditieren?
„Jeder, der es lernen will, kann es auch lernen“, sagt unser Experte. Allerdings muss man bereit sein, sich darauf einzulassen. Wer sich nur am religiösen Hintergrund vieler Meditationstechniken stört, kann sich für eine davon befreite Achtsamkeitsmeditation (siehe unten) entscheiden – oder eine ganz andere Entspannungstechnik wählen. „Die Methode, die am besten zu einem passt, findet man am besten durch ausprobieren.“
Wie lernt man am besten?
Unser Experte rät zu einem Kurs. „Voraussetzung ist, dass Sie den Kursleiter schätzen und die Gruppe akzeptabel und nicht irritierend finden“, empfiehlt er. Daneben gibt es natürlich auch (Hör-)Bücher, CDs und sogar Meditier-Apps fürs Smartphone. Letztere erinnern einen daran, dass es Zeit zum Meditieren ist. „So etwas ist aber keine Garantie“, warnt Henningsen. „Hat man einmal angefangen, das wegzuklicken, kann sich die App noch so bemühen.“
Wie bleibt man dran?
In der Tat besteht die größte Herausforderung darin, das Gelernte dann auch in den Alltag einzubauen – „je nachdem, wann es für einen passt: morgens nach dem Aufstehen, in der Mittagspause im Büro oder abends“, sagt Henningsen. Beim Dranbleiben hilft es außerdem, Partner, Freunde oder Kollegen in seine Pläne einzuweihen. Das erzeugt ein Gefühl der Verpflichtung.
Ist Meditieren nur was für Leute mit viel Zeit?
„Das ist Quatsch!“, sagt Henningsen bestimmt. „Wenn einem etwas wirklich wichtig ist, findet man die Zeit – egal, welchen Beruf man hat.“ Zumal man auch gar nicht viel Zeit dafür braucht: Schon eine Viertelstunde pro Tag reiche aus. Und: Dranbleiben lohnt sich. „Je regelmäßiger man es macht, desto schneller setzt der Effekt ein – und desto anhaltender ist er.“