DIE PSYCHOLOGIE-KOLUMNE – FITNESS FÜR DIE SEELE

Spieglein, Spieglein am PC

von Redaktion

Verbringen Sie auch viel Zeit in Online-Meetings? Gerade in Pandemiezeiten eine feine Sache, diese Technologie. Erlaubt sie es doch vielen von uns, virengeschützt vom Homeoffice aus zu arbeiten. Oder liebe Menschen wenigstens ab und zu nicht nur hören, sondern auch sehen zu können – wunderbar und so wichtig!

Ein kleines Schlaglicht auf die Schattenseite des Ganzen wirft allerdings ein „Spiegel“-Interview mit Werner Mang, einem der bekanntesten Schönheitschirurgen Deutschlands. Der verzeichnet infolge der ständigen Videochats einen deutlichen Anstieg an Männern unter seinen Klienten: „Das Doppelkinn bei Männern ab 50 Jahren. Da haben die Anfragen nach einer Korrektur deutlich zugenommen, vor allem bei Managern, Politikern, Lehrern. Das hatte ich vor der Pandemie überhaupt nicht.“ Die Fachzeitschrift „Facial Plastic Surgery & Aesthetic Medicine“ meldete bereits im vergangenen November eine stetig wachsende Anzahl von Schönheitsoperationen.

Tja, meine Herren, ist halt nicht so einfach, wenn man sich via Zoom-Selbstansicht täglich plötzlich stundenlang mit den eigenen (vermeintlichen oder tatsächlichen) Schönheitsfehlern konfrontiert sieht, nicht wahr? Wir Frauen kennen das ja schon etwas länger, „dank“ Hochglanzmagazinen und sozialer Medien voller mit „Photoshop“ bearbeiteter Bilder von Supermodels als ständiger Messlatte. Unser täglich Zoom liefert da nur das Sahnehäubchen.

Blöd ist: Je länger wir unser Spiegelbild betrachten, desto mehr erhöht sich unsere Selbstaufmerksamkeit. Und da die meisten von uns mit sich selbst ohnehin eher kritisch umgehen – Hand aufs Herz: Wer ist schon wirklich hundertprozentig zufrieden mit dem eigenen Äußeren? – führt das schnell in einen Teufelskreis. Wir entdecken dann bei jedem Blick mehr Verbesserungsbedarf. Oder das, was uns stört, erscheint uns immer gravierender.

Das Ganze ist weit mehr als ein reines Eitelkeits-Problem. Eine stark erhöhte Selbstaufmerksamkeit gilt als Risikofaktor für etliche psychische Störungen – und zwar nicht nur für Essstörungen, wie man jetzt vielleicht spontan denken könnte. Auch bei Depressionen oder Angststörungen spielt sie oft eine wichtige Rolle, weil sie negative Stimmungen, Stressgefühle und ungünstige Selbstbewertungen weiter verstärkt.

Ich will nun nicht behaupten, dass Programme wie Zoom & Co. uns allen psychisch schaden. Die Grenze zwischen einer sinnvollen, moderaten Selbstbeobachtung (Stichwort Achtsamkeit!) und einer problematisch erhöhten Selbstaufmerksamkeit ist durchaus fein.

Man muss zum Schutz der eigenen Psyche auch nicht so weit gehen wie die Soziologin Kjerstin Gruys von der Universität Nevada. Die hatte 2013 in einem Selbstversuch für ein Jahr lang alle Spiegel aus ihrem Umfeld verbannt –und dabei festgestellt, dass sich dadurch nicht nur ihr Selbstbild verbesserte, sondern auch ihre Konzentration und ihr Sozialleben. Aber ab und an sollte man ruhig mal die Selbstansicht am Bildschirm ausblenden. Denn: Eigentlich geht es dort doch auch darum, jemand andern zu treffen – nicht sich selbst.

VON FELICITAS HEYNE

Die renommierte Diplom-Psychologin und Buchautorin schreibt heute darüber, warum in Zeiten von Online-Meetings die Zahl der Schönheits-OPs steigt.

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