München – Lange hat man die Faszien unterschätzt und als bloßes Bindegewebe abgetan, quasi als Füllgewebe ohne Funktion. In den Anatomiekursen an den Universitäten wurde das Gewebe, das Muskeln umhüllt und sie mit den Sehnen und Knochen verbindet, einfach weggeschnitten. Inzwischen aber lüftet die Medizin Schritt für Schritt das Geheimnis der Faszien. Denn die Faszien sind alles andere als unwichtig: Sie sind eine lebendige Bindegewebs-Struktur, von Nerven gespeist, die dem Körper Halt geben und noch mehr: Sie bestimmen unser Wohlergehen.
Wie stark die Faszien für unsere Gesundheit verantwortlich sind und wie wir es schaffen, schmerzfrei und fit durch den Alltag zu kommen, erklären bei uns in einer neuen Serie drei Experten: Dr. Sebastian Torka ist Sportarzt und Orthopäde und Mannschaftsarzt der FC Bayern-Basketballer. Er arbeitet eng zusammen mit Simon Martinello, Reha-Trainer des FC Bayern München, der gerade für die Praxis von Bayern-Doc Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt die Handy-App „Rückentraining nach Müller-Wohlfahrt“ erstellt. Unser dritter Experte ist Tobias Homburg, Physiotherapeut, Ernährungsberater, Reha-Trainer und Inhaber der Therapiewelt im Lehel.
Der erste Teil unserer Serie widmet sich den wichtigsten Fakten über Faszien, zudem erklären wir drei Übungen für den Rücken:
Bindegewebe mit gut 20 Kilogramm
„Ohne die Faszien würde der Körper in sich zusammenfallen, sie sind ein Netzwerk von sehr robustem Bindegewebe, das aber zugleich sehr sensibel ist und eine starke Rückmeldung in Bezug auf Schmerzen gibt“, erklärt der Münchner Sportarzt Sebastian Torka. Die Faszien sind das Bindeglied zwischen Knochen und Muskeln und zugleich ein feinmaschiges Bindegewebe, das die Muskeln, Gelenke, Knochen und auch innere Organe umhüllt und sogar feinmaschig durchzieht. Sie bilden im Körper ein weit verzweigtes Netzwerk mit Taschen und Kammern, das den Körper verbindet und ihm so auch Stabilität gibt. Im Grunde genommen sehen die Faszien aus wie die Fruchtfasern in einer Zitrone – sie gliedern die einzelnen Teile, durchziehen aber zugleich das Innere und das Fruchtfleisch.
Massemäßig sollte man die Faszien nicht unterschätzen. Jeder Erwachsene trägt rund 16 bis 23 Kilogramm Faszien in sich. Die Faszien speichern rund ein Viertel des Körperwassers. Mit zunehmendem Alter nimmt die Körperflüssigkeit ab und die Faszien verfilzen. Überhaupt ist das Fasziengewebe mal mehr, mal weniger elastisch – seine Aufgabe ist es, zugleich Halt und Stabilität zu geben und Beweglichkeit und Flexibilität zu ermöglichen. Wichtig für den Erhalt der Elastizität der Faszien ist Bewegung. „Hier gilt der Spruch ,Wer rastet, der rostet‘ in abgewandelter Form, es muss heißen: ,Was rastet, das verklebt‘“, sagt FC Bayern-Fitmacher Simon Martinello.
Elastizität und Bewegung
Ohne die Faszien wären Bewegungen nicht möglich. Die Faszien sorgen dafür, dass die Muskelkraft übertragen wird, sie sind mit Sehnen verbunden und helfen dabei, unseren Körper zu bewegen und zu steuern. Jeder einzelne Muskel ist mit Faszien umhüllt. Dank ihnen sind die Muskeln unabhängig voneinander bewegbar und gleiten bei Bedarf aneinander vorbei.
Die Faszien erneuern sich ein Leben lang
Die Faszien bestehen aus Elastin, Wasser und verschiedenen Klebstoffen und vor allem aus Kollagen. Die gute Nachricht: Die Faszien erneuern sich ständig selbst – innerhalb eines halben Jahres ist die Hälfte der Kollagenfasern des Fasziengewebes im Körper ausgetauscht. Kollagen ist ein Protein, umgangssprachlich bezeichnet man Proteine als Eiweiß. Das Eiweiß Kollagen ist das am häufigsten im menschlichen Körper vorkommende Eiweiß. Etwa 30 Prozent des gesamten Eiweißes im Körper ist Kollagen.
Die Faszien haben viele Funktionen
Die Faszien sind nicht nur bloße Haltevorrichtungen und feste Häute, die die Muskeln umschließen, sondern haben viele verschiedene Funktionen im Körper.
. Sie dienen der Kraftübertragung, können sich aber auch selbst dehnen und zusammenziehen – dies allerdings langsamer als die Muskeln. Beim Laufen, Hüpfen oder Springen funktionieren die Faszien wie Sprungfedern, die – gemeinsam mit den Sehnen und Muskeln – Energie speichern und dann freisetzen können. Nur mit Muskelkraft könnte eine Gazelle nie so hoch springen – sie lädt die Faszien auf und lässt sie quasi schnalzen, um sich in die Höhe zu katapultieren.
. Die Faszien haben Sinneszellen – man kann mit ihnen also Schmerzen wahrnehmen. Denn die Faszien besitzen sechsmal mehr Nervenzellen als etwa Muskeln. Dadurch können sie Druck, Spannungsänderungen und Schmerz schnell registrieren – zudem können Faszien selbst schmerzen, etwa wegen Verdickungen, Verengungen oder auch kleinen oder größeren Rissen im Fasziengewebe.
. Dank der Faszien können wir die Bewegungen unseres Körpers im Raum wahrnehmen, ohne hinzuschauen. Dies geschieht mithilfe sogenannter Propriozeptoren. Diese geben uns unser Körperbewusstsein. Dank diesen können wir unseren Körper wahrnehmen und alle Bewegungen choreografieren, ohne bewusst jeden einzelnen Schritt lenken zu müssen.
. Wichtig sind die Faszien aber nicht nur für die Bewegung des Körpers. Sie sind zugleich Transportbahnen für wichtige Stoffe. Die Faszien versorgen die Zellen und Organe mit Nahrung. Außerdem enthalten die Faszien Abwehrzellen und Lymphzellen. Damit sind die Faszien sogar ein Teil des Immunsystems.
Faszien reagieren sensibel auf Stress
Achtung, auch Faszien haben Gefühle – jedenfalls im übertragenen Sinn. Sie reagieren sensibel auf Stress, Überlastung, Verletzungen und Bewegungsmangel durch zu langes Sitzen. So verkürzen sich manche Bereiche, das macht dann Spannungen – und die feinen Bindegewebsfasern verhärten und verkleben miteinander. Dies lässt deren Nervenzellen reagieren, und diese melden dann Schmerzen, beispielsweise im Nacken, den Schultern, dem Rücken, dem Kopf oder den Gelenken, etwa dem Iliosakralgelenk (ISG). Wer aufmerksam seinen Körper abtastet, kann selbst die Stellen erspüren, an denen die Faszien verhärtet sind, denn sie reagieren dort empfindlich auf Druck, erklärt Physiotherapeut Tobias Homburg.
Beim Training nicht nur auf die Rolle setzen
Besonders angesagt ist neuerdings die sogenannte Faszien-Rolle, sie wird inzwischen sogar in Discountern verkauft. Wer mit so einer harten Schaumstoffrolle arbeitet, der lernt schnell, dass sie an den Stellen besonders wehtut, wo das Fasziengewebe verhärtet und verklebt ist. Aber Achtung: Man kann es mit der Rolle auch übertreiben, warnt Sportarzt Torka. Rollen in die falsche Richtung kann die Venenklappen beeinträchtigen und dem Gewebe Schaden zufügen, weil es dann übersäuert wird.
Übrigens: Faszientraining ist viel mehr als das Rollen mit einer Rolle. Besonders gezielte Bewegungstherapie kann die Faszien wieder beweglich machen. Hier helfen Yoga, Pilates oder auch dynamische Dehnungsübungen, aber auch Massagen. Wir erklären in unserer neuen Serie, worauf es ankommt.