Kleine Schocks für mehr Gesundheit

von Redaktion

Kalte Dusche, heiße Sauna, Schwitzen und Fasten: Wie der Mensch Abwehrkräfte entwickelt

VON DIRK AUBERLEN

Als Kinder haben sich die Älteren unter uns – meist erfolglos – gegen den vielgepriesenen eiskalten Wasserguss gesträubt. Abhärtung nannten das die Vorfahren. Und damit hatten sie offensichtlich Recht. Hormesis (griechisch: Anregung, Anstoß) nennt die Wissenschaft dieses mittlerweile erwiesene Phänomen, dass geringe Dosen einer an sich schädlichen bzw. sogar giftigen Substanz, das (Intervall-)Fasten und vor allem auch kurze Stressreize eine positive Wirkung auf die Gesundheit im Sinne der Abhärtung haben können. „Aber eben nur, solange man es nicht übertreibt“, erklärt der Anti-Aging-Experte Professor Dr. Bernd Kleine-Gunk. Er ist Gynäkologe und Ernährungsmediziner am Metropol Medical Center Nürnberg und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Prävention und Anti-Aging Medizin (German Society of Anti-Aging Medicine, (GSAAM).

Eine eiskalte Dusche, schweißtreibender Sport oder auch bewusste Mäßigung bei der Ernährung – es kostet viele Menschen große Überwindung, diese ohne Frage gesunden Dinge regelmäßig in den Alltag zu integrieren. Und auch gesunde Nahrungsmittel wie frisches Gemüse haben es immer noch schwer, sich bei der Essenswahl gegen verarbeitete Lebensmittel durchzusetzen.

Aber warum siegt regelmäßig die Bequemlichkeit über die Vernunft? Während unsere Vorfahren ständig körperlichen Stressreizen ausgesetzt waren, kommen diese im modernen Alltag immer seltener vor: Verkehrsmittel bringen uns ohne Anstrengung überallhin. Heizungen schützen vor Kälte, Klimaanlagen vor Hitze. Und echten Hunger kennen die meisten Menschen in Deutschland überhaupt nicht. Das ist auch der Grund, weshalb Sport, Saunagänge, Eisbäder und Fasten für eine robuste Gesundheit heute so wichtig sind. Sie setzen uns gezielt kleinen Stressreizen aus, die im modernen Alltag meist gänzlich fehlen.

Das heißt nicht, dass sie gesund sind. Ganz im Gegenteil: Sie fügen uns sogar Schaden zu. Die gesunde Wirkung ist die Reaktion des Körpers auf diese Stressreize. Je nach Stressreiz fallen die Effekte für die Gesundheit unterschiedlich aus. Zum größten Teil handelt es sich hierbei um biochemische Prozesse, die auf der Zell-Ebene stattfinden — im Fachvokabular Mitohormesis genannt. Diese Form der Hormesis ist besonders gut erforscht.

Stressreize wie Hitze, Kälte, Überanstrengung, extreme Hungerkuren und Gifte richten massive Schäden an, wenn sie den Körper überfordern. Darum ist die Psyche evolutionär darauf ausgelegt, aus Selbstschutz genau solche Stressreize zu vermeiden und erzeugt quasi als Sicherheitsnetz sogar noch eine Art instinktiven Schutzreflex – die totale Ablehnung. Doch Stressreize sind durchaus gesund, wenn der dadurch entstandene Schaden vom Körper aus eigener Kraft nicht nur repariert, sondern überkompensiert wird. Das heißt: Der Körper heilt und wird in Zukunft robuster auf die ihm nun bereits bekannten Reize reagieren.

Der positive Effekt der Hormesis war übrigens bereits den antiken Griechen bekannt. Besonders eindrücklich (und wirklich nicht zur Nachahmung empfohlen) nutzen angeblich heute noch buddhistische Shaolin-Mönche in China den Hormesis-Effekt: Sie schlagen ihre Gliedmaßen solange auf harte Oberflächen, bis es zu Mikrobrüchen im Knochen kommt, die der Körper in den Erholungsphasen mit härterer Knochenmasse ausheilt. Durch ständige Wiederholung härten die Mönche auf diese Weise ihre Knochen, bis sie stapelweise Ziegel zerschlagen können.

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