Als Kräuterpädagogin in den Münchner Isarauen merkte Victoria Lorenz schnell: Wo überall die Hunde hinpinkeln, hat der Städter keine Lust, essbare Schätze am Wegesrand für sich zu entdecken. „Wie viele andere auch, habe ich zunächst immer nur an Kräuter und Früchte gedacht, als es darum ging, den Speiseplan mit den unterschiedlichsten Pflanzen zu bereichern.“ Keine gute Idee in der Stadt oder Gegenden, wo viele Hundebesitzer mit ihren Tieren Gassi gehen.
Doch plötzlich kam ihr die Idee, den Blick nach oben zu richten und zu schauen, was oberhalb der Hüfte wächst, wo garantiert kein Tier hinkommt – „und so entdeckte ich eine ungeahnte Vielfalt“. Es lasse sich so viel Leckeres aus Bäumen herstellen – auch im Winter. Dank der Nadelbäume.
Nadelbäume kennt man bislang hauptsächlich als Badezusatz oder im Duftöl. Schade, denn in den Nadeln steckt viel Power. „In der Antike waren diese Nadeln die heimischen Vitamin-C-Lieferanten“, erklärt die junge Kräuterpädagogin, die weiter ausführt: „Die Fichte schmeckt nach Zitrone, die Tanne nach Mandarine und die Douglasie nach Orange.“ Wer Kiefer probiert, wird einen Grapefruit-Geschmack feststellen.
Wer nur an den Zweigen schnuppert, wird keine Aromen-Vielfalt entdecken. „Man muss die Nadeln brechen, sonst werden die ätherischen Öle nicht freigesetzt“, erklärt Victoria Lorenz. „Und niemals den ganzen Zweig verwenden.“ Die Nadeln am besten mit der Schere abschneiden und anschließend mit einem scharfen Messer sehr klein schneiden. Sie ähneln zwar dem Rosmarin – sind aber nicht so weich wie Rosmarinnadeln.
Wer mit Nadelbäumen kochen will, muss darauf achten, dass die Zweige nicht gespritzt sind. Biozweige findet man in vielen Gärtnereien, sagt die Kräuterpädagogin. Wer in den Wald geht, muss wissen, wem die Bäume gehören. Ist der Wald in Privatbesitz, muss man den Eigentümer fragen.
Bei den Staatsforsten gilt die sogenannte Handstraußregel. Diese besagt: „Jeder darf wild lebende Blumen, Gräser, Farne, Moose, Flechten, Früchte, Pilze, Tee- und Heilkräuter sowie Zweige wild lebender Pflanzen aus der Natur an Stellen, die keinem Betretungsverbot unterliegen, in geringen Mengen für den persönlichen Bedarf pfleglich entnehmen und sich aneignen.“
Für Kräuterpädagogin Victoria Lorenz, die mittlerweile in Bad Kohlgrub im Landkreis Garmisch-Patenkirchen wohnt, ist auch wichtig, dass man wirklich nur das isst, was man auch kennt. Denn Vorsicht: Die Eibe ist extrem giftig und kann schnell mal mit einer Tanne verwechselt werden.
Mutter und Großmutter haben Victoria Lorenz geprägt: „In meiner Familie war es schon immer wichtig, auf einen gesunden Lebensstil zu achten“. Die logische Konsequenz: ein Studium der Gesundheitsförderung. Anschließend machte Victoria Lorenz die Ausbildung zur Kräuterpädagogin, weil sie ihre „Liebe zur Natur“ entdeckte und eine „leidenschaftliche Pflanzensammlerin“ ist. Mittlerweile gibt sie ihr „wildes Wissen“, wie sie ihre Erfahrungen in der Natur nennt, in Workshops, Büchern und auf Social Media weiter.
Und wenn sie reist, erkundet Victoria Lorenz die fremden Länder und Städte anhand ihrer Pflanzenwelt. Klar. „Das ist meine Brille, durch die ich die Welt sehe.“