Erfahrener Kardiologe: Professor Heribert Schunkert vom Deutschen Herzzentrum München. © Herzzentrum
Regelmäßiges Blutdruckmessen ist eine Investition in die Gesundheit. © Fotos: Panther
München – Eine neue Hypertonie-Studie aus China wird unter Herz-Spezialisten heiß diskutiert. Sie zeigt, dass eine medikamentöse Senkung des oberen (systolischen) Messwerts auf unter 120 mmHg noch besser vor Schlaganfall, Herzinfarkt, Herzschwäche und Herztod schützt. Dabei gilt nach den deutschen Leitlinien ein Blutdruck von 120/80 als optimal. Ein Münchner Kardiologe ordnet die spannenden Erkenntnisse aus China für unsere Leserinen und Leser ein.
Die Volkskrankheit Bluthochdruck birgt für Präventionsmediziner ein ähnlich hohes Frustrationspotenzial wie das Volkslaster Rauchen: Von den Gefahren hat so ziemlich jeder schon mal gehört, aber viele Menschen nehmen diese nicht so richtig ernst. Ein Fehler, der tödlich enden kann, denn Fakt ist: Langjähriger Bluthochdruck vervielfacht das Risiko für einen Gefäß-GAU mit fatalen Folgen. Dazu zählen Albtraum-Erkrankungen wie Herzinfarkt, Herzmuskelschwäche, Schlaganfall oder Aufspaltungen der Hauptschlagader (Aortendissektion). Auch Augen und Nieren leiden unter Hypertonie, zudem steigt die Gefahr einer Demenz. Trotzdem hat in Deutschland nach Expertenschätzungen etwa jeder dritte Erwachsene zu hohe Messwerte – oft ohne es zu wissen, weil der Blutdruck nie kontrolliert wird.
■ Verträglichkeit der Tabletten entscheidend
Dabei kristallisiert sich immer mehr heraus, dass man selbst vermeintlich nur moderat erhöhte Werte nicht auf die leichte Schulter nehmen sollte. Schon vor einigen Jahren legten chinesische Wissenschaftler alarmierende Analysen vor: Danach verdoppelt sich bereits bei Messwerten zwischen 130/85 und 139/89 mmHg das Herzinfarktrisiko fast. Bei Patienten mit einem Blutdruck zwischen 120/80 und 140/90 steigt die Schlaganfallgefahr um 66 Prozent. Jetzt sorgen erneut Forscher aus dem Reich der Mitte mit einer Studie für Gesprächsstoff auch in deutschen Medizinerkreisen. Die Studie legt nahe, dass Bluthochdruckpatienten ihren oberen (systolischen) Wert sogar unter 120 senken sollten – „vorausgesetzt, sie vertragen die Medikamente gut“, gibt Professor Heribert Schunkert vom Deutschen Herzzentrum München zu bedenken. Denn im Vergleich zu einem Blutdruckwert von 135 sinkt die Gefahr für Herz und Hirn spürbar.
Nach den deutschen Behandlungsleitlinien ist ein Blutdruck von 120/80 optimal. Warum aber kommen Ärzte nun zu dem Schluss, dass noch tiefere Werte insbesondere für Risikopatienten gut wären? „Wir wissen schon lange, dass Menschen, die von Natur aus einen Blutdruck unter 120 mmHg systolisch haben, ein deutlich verringertes Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall haben“, erklärt Schunkert, der auch stellvertretender Vorsitzender der Deutschen Herzstiftung ist. Dass auch Bluthochdruckpatienten unter einer medikamentösen Therapie von derart niedrigen Werten profitieren, habe sich bereits in einer amerikanischen Studie angedeutet. Und jetzt liefere auch die chinesische ESPRIT-Studie entsprechende Hinweise. „Sie zeigt erneut, dass Werte über 135 vermieden werden müssen. Alle Blutdruckpatienten sollten Werte unter 130 erreichen. Und bei guter Verträglichkeit der Medikamente und fehlenden Nebenwirkungen ist sogar ein systolischer Blutdruck von unter 120 vorteilhaft und sollte angestrebt werden“, so Professor Schunkert. Er geht davon aus, dass sowohl die amerikanische als auch die neue chinesische Blutdruckstudie die Therapieleitlinien in Deutschland beeinflussen werden.
Derzeit gelten in Deutschland beim Arzt gemessene Blutdruckwerte von 120-129/80-84 als normal. Werte von 130-139/85-89 bewerten Kardiologen und Hypertensiologen als „hochnormal“, ab 140-159/90-99 wird der Blutdruck als behandlungsbedürftig eingestuft. Auch nach den im vergangenen Jahr vorgestellten Empfehlungen der Europäischen Bluthochdruckgesellschaft (wir berichteten) sollten bei allen Menschen zwischen 18–79 Jahren Blutdruckwerte von unter 140/90 angestrebt werden, besser noch von 130/80. Diese Empfehlung gelte auch für Patienten über 80 Jahre, sofern sie die Medikamente gut vertragen, erläutert die Deutsche Herzstiftung.
■ Darauf kommt es bei Medikamenten an
„Mögliche Nebenwirkungen von Bluthochdruckmitteln sind unter anderem körperliche Schwäche, Müdigkeit, Abgeschlagenheit oder Kreislaufprobleme durch einen gesenkten Blutdruck“, berichtet Herzstiftungs-Vizechef Schunkert. Genau hier liegt auch ein Knackpunkt bei der Therapie. So bekommen manche Patienten, die jahrelang mit einem viel zu hohen Blutdruck lebten, bei einer starken Blutdrucksenkung Probleme mit solchen Nebenwirkungen. „Ihr Herz-Kreislauf-System muss sich erst an die enormen Blutdruckveränderungen gewöhnen“, so der Kardiologe.
Deshalb ist die Einstellung des Blutdrucks oft eine komplexe Angelegenheit, die viel Erfahrung erfordert. „Bei der Therapie ist eine Kombination aus blutdrucksenkenden Mitteln effektiver“, weiß Schunkert. Eine Zweierkombination aus ACE-Hemmer bzw. Sartan mit einem Kalziumantagonisten oder Diuretikum ist in der Regel der erste Schritt. Reicht das nicht, sollte eine Dreierkombination aus diesen Wirkstoffklassen versucht werden.
Ferner sind Aldosteron- Antagonisten (Spironolacton/Eplerenon) bei der Behandlung der schwer einstellbaren Hypertonie eine Therapievariante. „Auch der Betablocker erlebt eine Renaissance in den neuen Leitlinien, insbesondere bei Patienten mit Herzerkrankungen kann er eine gute Wahl sein“, erläutert Schunkert. Und noch ein wichtiger Tipp: „Eine gewissenhafte Einnahme der Medikamente ist für den Behandlungserfolg entscheidend. Man sollte Medikamente nie ohne Rücksprache mit dem Arzt einfach weglassen oder die Dosierung verändern“, rät der stellvertretende Vorsitzende der Deutschen Herzstiftung.
ANDREAS BEEZ