Gefäßablagerungen können die Herzkranzgefäße einengen und die Sauerstoffversorgung des Herzmuskels massiv beeinträchtigen. © Foto: Vario Images
Unterschätzte Gefahr: Stress kann Entzündungsprozesse in den Gefäßen befeuern und das elektrische Zentrum des Herzens schwer schädigen. © Fotos: Panther, Haag, TU München
München – Neben Rauchen und Alkohol schaden Bluthochdruck, Diabetes und hohes Cholesterin dem Herzen massiv. Doch ein weiterer stiller Killer wird nach wie vor oft unterschätzt: Stress! Wer ständig unter Strom steht, der riskiert unter anderem Herzinfarkt und Schlaganfall, aber auch Demenz und andere neurodegenerative Erkrankungen wie Parkinson. Wie ernst diese Bedrohung ist, zeigte vergangene Woche auch der Fall des Münchner Stadtsparkassen-Chefs: Ralf Fleischer (60) kündigte wegen einer koronaren Herzerkrankung seinen Rücktritt an. Aber nicht nur Manager in Hochstress-Jobs sind betroffen, sondern auch viele andere Arbeitnehmer und Rentner – und zwar rund um die Uhr. So bestätigen neuere wissenschaftliche Studien, dass die Gefahr durch Stress bereits in der Nacht beginnt. In unserer Zeitung erklärt der Münchner Präventionsmediziner Professor Martin Halle die Zusammenhänge, wann Sie unbedingt zum Arzt müssen und wie Sie sich schützen können.
Man kann zwar einigermaßen einschlafen, notfalls mithilfe von ein, zwei Gläsern Bier oder Wein, wacht aber mitten in der Nacht auf und macht dann lange kein Auge mehr zu. Morgens bekommt man dann die Quittung, fühlt sich wie gerädert, schleppt sich gähnend durch den Tag. Solche Schlafstörungen schlagen nicht nur auf die Psyche, sie sind auch Gift fürs Herz. Oft steckt Stress dahinter.
„Durch Dauer-Stress drohen gleich mehrere Kettenreaktionen, die sich in Kombination auch noch verstärken“, erklärt Professor Martin Halle von der TU München, Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat der Deutschen Herzstiftung. „Wer gestresst ist, der hat häufig einen zu hohen Blutdruck. Zudem werden ständige Hormone ausgeschüttet, darunter Kortisol und auch Insulin, was wiederum zur Entstehung von Diabetes führen kann. Die Zuckerkrankheit und Bluthochdruck gehören gemeinsam mit erhöhten LDL-Cholesterinwerten zu den größten Risikofaktoren für Gefäßerkrankungen. Zudem kann Stress gefährliche Veränderungen am Herzmuskel und Herzrhythmusstörungen verursachen.“
Bei neueren wissenschaftlichen Studien hat sich herauskristallisiert, wie sich Stress in der Nacht beispielsweise bei Schlafstörungen auswirkt – in einer Ruhephase, in der sich der Körper eigentlich entspannen und Reparaturvorgänge ankurbeln sollte. „Es werden nicht nur Stresshormone freigesetzt, sondern auch bestimmte Zellen aus dem Knochenmark, die sich an den Herzkranzgefäßen anlagern. Sie befeuern dort Entzündungsprozesse“, berichtet Halle. Auch diejenigen, die schnarchen, haben erhöhten Stress.
Die Entzündungsprozesse sind hochgefährlich – gerade dann, wenn die Gefäßinnenwände bereits durch jahrelangen Bluthochdruck spröde geworden sind und sich zudem Cholesterinablagerungen gebildet haben: Gefäßplaques. Gerade die sogenannten weichen Plaques können als Folge der Entzündungsprozesse einreißen und das Gefäß verschließen. Ist eine Herzkranzarterie betroffen, spricht man von einem Herzinfarkt. Bei einer Hirnarterie entsteht ein Schlaganfall.
Noch dazu schadet Stress dem elektrischen Zentrum des Herzens: Am Sinuskoten, der die Funktion eines Taktgebers erfüllt, entstehen kleine Narben. „Sie führen dazu, dass der Sinusknoten seine Impulse nicht mehr rhythmisch abgibt, sondern unrhythmisch. Das nennt man Vorhofflimmern“, erklärt Halle. Vorhofflimmern – die häufigste Herzrhythmusstörung – ist zwar für sich genommen nicht bedrohlich. Aber es erhöht die Schlaganfall-Gefahr. Denn bei Vorhofflimmern können sich im linken Herzvorhof Blutgerinnsel bilden, die ins Gehirn geschwemmt und dort ein Gefäß verschließen können.
Schlechter Schlaf und Daueranspannung bergen auch die Gefahr, dass man allmählich Hirnsubstanz verliert, die Gefahr für Demenzerkrankungen wie Alzheimer oder neurodegenerative Erkrankungen wie Parkinson wächst. „Stress lässt die Gehirnzellen verkümmern“, erläutert Halle. „Man kann sie sich vorstellen wie Bäume mit Ästen. Die kleinen Äste verkümmern mehr und mehr. Auf die Zellen übertragen bedeutet dies, dass die Leitung von einer Zelle zur anderen zunehmend eingeschränkt wird.“
ANDREAS BEEZ