CT-Besprechung: Prof. Hans-Georg Palm (links) erklärt seinem Patienten Markus Rupp die Bilder.
Hightech im OP: Auch bei Eingriffen am Becken wird im Klinikum Ingolstadt ein modernes Navigationssystem eingesetzt.
Prof. Hans-Georg Palm erklärt an einem Modell, wie Beckenfrakturen mit Platten und Schrauben stabilisiert werden.
Viel Arbeit für die Unfallchirurgen: Im Röntgenbild sieht man, wie sie den Patienten wieder auf die Beine brachten.
Die nächsten Touren müssen noch etwas warten: Markus Rupp mit seinem neuen Gravel Bike. © Fotos: Klinikum Ingolstadt, privat
Ingolstadt – E-Bikes lassen sich mit vergleichsweise geringer Muskelkraft auf bis zu 25 Kilometer pro Stunde beschleunigen, sie ermöglichen auch weniger trainierten, älteren und gesundheitliche angeschlagenen Menschen schöne Touren. Aber Markus Rupp (55) ist ein sportlicher Mann, und trotz einer offenen Herz-OP an der Mitralklappe will der Audi-Manager lieber ohne die Unterstützung eines Hilfsmotors in die Pedale treten. Deshalb kaufte er sich mit seiner Frau Antje neue Trekking-Räder. Doch die erste gemeinsame Tour endete schon nach rund fünf Kilometern dramatisch. Rupp stürzte, brach sich dabei die Hüftgelenkspfanne und zog sich innere Verletzungen zu. Unfallchirurgen des Klinikums Ingolstadt mussten ihr ganzes Know-how einsetzen, um den schwer verletzten Patienten wieder auf die Beine zu bringen.
Der Unfall geschah in der Nähe von Stammham im Landkreis Eichstätt. „Auf einem Feldweg ist mir irgendwie das Vorderrad weggerutscht. Meine Frau fuhr vor mir, die habe ich bei meinem Sturz auch gleich noch mit abgeräumt“, erinnert sich Rupp. Während sie mit Abschürfungen davonkam, hatte es ihn richtig böse erwischt. „Ich lag auf dem Boden im Dreck und wollte aufstehen, aber es ging nicht. Ich hatte Tränen in den Augen vor Schmerzen.“ Neben der schweren Beckenverletzung blutete sein Kinn und der Fahrradhelm war durch die Wucht des Aufpralls gebrochen. „Dabei sind wir überhaupt nicht schnell gefahren, vielleicht 14 km/h.“ Ein Jogger alarmierte den Rettungsdienst.
Im Schockraum des Klinikums Ingolstadt wurde Rupp erstversorgt, eine Computertomografie (CT) lieferte die Diagnose: Bruch der Hüftgelenkspfanne, auf Medizinerdeutsch Acetabulumfraktur genannt. Eine OP war unumgänglich, doch zu allem Überfluss verzögerte auch noch ein Harnwegsinfekt den Eingriff, der zunächst mit Antibiotika behandelt werden musste.
Der medizinische Hintergrund: „Zur Stabilisierung des Bruchs wird eine Metallplatte eingesetzt und mit dem Knochen verschraubt. Bei einer akuten Infektion wäre das Risiko zu groß gewesen, dass sich Keime auf dieser Platte ansiedeln. In einem solchen Fall müsste man erneut operieren, um die Platte wieder zu entfernen“, erklärt Professor Hans-Georg Palm, der Direktor des Zentrums für Orthopädie und Unfallchirurgie. Deshalb wartete sein erfahrenes Team ab, bevor es den komplexen Eingriff vornahm – mit Erfolg: „Wir konnten das Hüftgelenk gut rekonstruieren und in seiner Funktion erhalten.“
Die heikle OP dauerte mehrere Stunden. Um an den Bruch zu gelangen, mussten die Unfallchirurgen die Blase zur Seite heben und sich am Beckenkamm entlang vorsichtig vorarbeiten. Besonders heikel ist der Bereich um die Corona Mortis, was übersetzt so viel wie Kranz des Todes bedeutet. Dabei handelt es sich um eine Gefäßverbindung zwischen zwei Arterien. „Wenn man sie verletzt, droht der Patient zu verbluten“, weiß Palm. Deshalb setzten die Operateure in diesem Areal mehrere Gefäßclips – das sind kleine Klammern aus Metall, die Gefäße verschließen. Auch Nerven gilt es in diesem Areal zu schonen.
Vorsichtig manövrierten die Ärzte eine sogenannte anatomische Platte zum Bruch, sie ist gewölbt und passt sich an die Hüftpfanne an. Die Platte, die an mehreren Stellen verschraubt wurde, muss nach der Knochenheilung nicht wieder entfernt werden. Das ist für Markus Rupp auch deshalb wichtig, weil er unabhängig von seinem Unfall an Arthrose im Hüftgelenk leidet. „Falls er später mal ein künstliches Hüftgelenk brauchen sollte, dann wäre diese Platte kein Hinderungsgrund“, erläutert Beckenspezialist Palm, der auch an der Leitlinie „Verletzungen des Beckenrings“ der renommierten Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU) mitgearbeitet hat.
Dieses Experten-Gremium legt unter anderem fest, wie Beckenringfrakturen behandelt werden. Jüngere Patienten erleiden solche Verletzungen häufig bei Verkehrsunfällen oder bei Stürzen aus größerer Höhe. „Davon sind sportliche Männer im Alter von 20 bis 30 Jahren besonders häufig betroffen“, berichtet Palm. Zudem brechen sich viele ältere Menschen in Alltagssituationen das Becken, etwa beim Heben schwerer Gegenstände, bei Stürzen im Haushalt und neuerdings auch immer öfter bei Radtouren mit dem E-Bike. „Wir sprechen von Fragilitätsfrakturen“, sagt Unfallchirurg Palm und erklärt: „Ältere Menschen sind heute zwar oft sehr agil, aber trotzdem genauso fragil wie früher. Deshalb sollte man gerade im Alter besonders vorsichtig fahren und immer einen Helm tragen.“
Hüftpfannen- und Beckenringfrakturen sind oft mit Begleitverletzungen verbunden, beispielsweise an den Blutgefäßen oder Weichteilen. Vor diesem Hintergrund sollte man Schmerzen nach Stürzen nicht auf die leichte Schulter nehmen – auch wenn man den Sturz im ersten Moment als nicht so schlimm einschätzt. „Generell gilt nach einem Unfall: Bei Kopfschmerzen, Schwindel, Bewusstseinsstörungen oder einem sich verschlechternden Allgemeinzustand bitte rasch zum Arzt oder in die Notaufnahme einer Klinik gehen“, rät Palm.
Sein Patient Markus Rupp ist froh, dass er das Schlimmste überstanden hat. „Es war ein langer Weg, ich lag fünfeinhalb Wochen im Krankenhaus, war danach in der Reha und bin monatelang bei der Physiotherapie gewesen.“
Auch 14 Monate nach dem schweren Fahrrad-Unfall muss er dafür arbeiten, wieder ganz gesund zu werden. Zu seinem Trainingsprogramm gehören spezielle Gymnastikübungen, in die er täglich 45 Minuten investiert. In seinem Keller geht er zudem regelmäßig aufs Laufband und auf ein Fitness-Bike. Draußen zu radeln, kommt für ihn nach seinem Horrorerlebnis noch nicht infrage, und auch die sechs Motorräder in seiner Garage reizen ihn derzeit kaum. „Ich freue mich erst mal drauf, nächsten Sommer wieder wandern zu können. Noch fühle ich mich beim Laufen ab und zu wie in einer Schiffschaukel“, erzählt er schmunzelnd. Aber es wird jeden Tag besser – und seine Fahrräder und Motorräder haben eines gemeinsam: Sie können ihm ja nicht weglaufen.