Zitterpartie um Katalonien geht weiter

von Redaktion

Regional-Regierungschef Puigdemont bleibt auf Konfrontationskurs – Parlament in Barcelona und Senat in Madrid treten zusammen

Barcelona/Madrid – Als Carles Puigdemont nach langem Hin und Her, Chaos und quälender Ungewissheit am Donnerstag endlich vor die Mikrofone tritt, haben sich einige der tausenden Menschen vor dem katalanischen Regierungspalast in Barcelona schon heiser geschrien. „Verräter, Verräter!“ und „Unabhängigkeit, Unabhängigkeit“. Es herrschen Wut und Enttäuschung. Puigdemont wolle zurückrudern und die Pläne zur Abspaltung von Spanien abblasen, hatten Medien im EU-Land den ganzen Tag lang berichtet. Er wolle Neuwahlen ausrufen. Doch dann überrascht Puigdemont Freund und Feind.

Der 54-jährige liberale Politiker lässt sich von den von Madrid angedrohten Zwangsmaßnahmen gegen seine Region, die schon am Freitag nach Billigung durch den Senat zur Anwendung kommen sollen, nicht einschüchtern und lehnt die Ausrufung von Neuwahlen ab. Er „habe die Ausrufung von Neuwahlen erwogen, aber es gibt keine Garantien dafür“, meint der Regionalpräsident kurz nach 17 Uhr, nachdem er seine Rede mehrfach verschoben hatte.

Lautsprecher verbreiten seine Worte. Überraschung, Aufatmen und Jubel vor dem Regierungspalast, Entsetzen bei Beobachtern im ganzen Land. Die Angst vor Unruhen nimmt plötzlich wieder zu. Die Madrider Börse, die im Laufe des Tages stark zugelegt hatte, flaut wieder ab.

Am Donnerstagabend stand fest, dass der Senat die Zwangsmaßnahmen billigen wird. In der zweiten Parlamentskammer hat die Volkspartei (PP) von Ministerpräsident Mariano Rajoy nämlich eine ausreichende Mehrheit – und keinen Grund, die Madrider Interventionspläne abzulehnen. Die Absetzung von Puigdemont ist nur eine Frage von Tagen. Wie werden die Anhänger der Separatistenbewegung darauf reagieren? „Jetzt können wir nichts mehr ausschließen“, „man muss Angst haben“ oder „Das ist ein Desaster“ hört man im Fernsehen.

Auf den Straßen Barcelonas herrschte weniger Angst. „Das ist ein Schachspiel, und wir haben sehr gut gespielt“, sagt ein Demonstrant. Er hat sich wie sehr viele hier eine „Estelada“, die Flagge der Unabhängigkeitsbewegung, umgehängt. Andere schwenken sie.

Das Programm für Freitag: In Madrid stimmt der Senat ab, und gleichzeitig wird das Parlament in Barcelona mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit über die Ausrufung der Unabhängigkeit debattieren. Der „Frontalzusammenstoß zweier Züge“, mit dem die spanischen Medien seit Wochen titeln, scheint unvermeidlich.

Unter den Neutralen gibt es aber welche, die noch auf eine Lösung in letzter Sekunde für den Konflikt um die wirtschaftsstarke, von auswärtigen Touristen meistbesuchte Region Spaniens setzen. Zu den wenigen gehört der katalanische Sozialistenchef Miquel Iceta. Es gebe zwei Wege, die man gleichzeitig gehen müsse, sagt er: Das Parlament in Barcelona müsse die Unabhängigkeit ablehnen und für Neuwahlen stimmen. Und der Senat dürfe nicht einfach grünes Licht für die Zwangsmaßnahmen geben, sondern eine Debatte über Katalonien und die Autonomie einleiten.

Doch die Skepsis ist gerechtfertigt. In der Volkspartei von Rajoy ist von Dialog weit und breit keine Rede. Die Zukunft der viertgrößten Volkswirtschaft der Eurozone bleibt ungewiss. E. Rappold, N. Román

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