Europas Angst vor dem Pulverfass Mazedonien

von Redaktion

Wenn Mazedonien in die EU will, muss es seinen Namen ändern. Der Streit darüber spaltet das kleine Balkanland – und ruft Russen, Europäer und Amerikaner auf den Plan. Gleichzeitig läuft dem jungen Staat die Zeit davon.

VON SEBASTIAN HORSCH

Skopje – Damien ist 21 Jahre alt, Student und Mazedonier. Nicht Nord-Mazedonier, sondern Mazedonier, sagt er. Ein Name sei doch nur ein Name, halten ihm viele seiner Kommilitonen entgegen. Dafür vergibt man doch nicht die Chance, EU-Mitglied zu werden. Damien aber glaubt: „So einfach ist es nicht.“ Es stehe mehr auf dem Spiel. Tradition, Geschichte, Identität. „Wir sind wie jemand, der gerade Geld braucht, und deshalb sein wertvollstes Gut unter Wert verkauft.“

Was die Studenten in Skopje umtreibt, spaltet gerade ihr ganzes Land. Seit Jahrzehnten schwelt der Streit mit Griechenland. Der große Nachbar will, dass Mazedonien sich in Nord-Mazedonien umbenennt. Zum einen, weil es derzeit genauso heißt wie die nordgriechische Provinz Mazedonien. Zum anderen, weil sich auch das kleine Land auf das Erbe Alexanders des Großen beruft, den die Griechen als Nationalhelden für sich alleine beanspruchen.

Was klingt wie ein skurriler Nachbarschaftsstreit, geht weit darüber hinaus. Denn da Mazedonien bisher nicht einlenkt und die griechischen Nachbarn obendrein mit absurd pompösen Alexander-Denkmälern auf den Plätzen seiner Hauptstadt Skopje provoziert, blockiert Athen im Gegenzug den Beitrittsprozess des Landes zur EU und zur Nato. Deshalb blickte man am vergangenen Sonntag auch in Berlin, Brüssel und Washington gespannt auf das kleine Land im Herzen des Balkans. In einem Referendum sollten sich die Mazedonier entscheiden, ob sie sich auf das Tauschgeschäft einlassen wollen, das ihre Regierung mit Griechenland ausgehandelt hat. Kurz gesagt: Ob sie künftig keine Mazedonier mehr sein wollen, dafür aber Nord-Mazedonier mit EU-Perspektive.

Angela Merkel war vor der Abstimmung zu Besuch gekommen, um dafür zu werben, Österreichs Kanzler Sebastian Kurz war da und auch US-Verteidigungsminister James Mattis. Es geht nicht nur um die Entschärfung eines Nachbarschaftsstreits auf dem ewig kriselnden Balkan. Sondern auch darum, das Land zu stabilisieren und vor dem Zugriff Russlands zu sichern, das in der Region geostrategische Interessen verfolgt. Doch am Ende stand ein zweideutiges Ergebnis. Zwar stimmten mehr als 600 000 Bürger dafür, den eigenen Namen für Nato und EU aufzugeben – die überwältigende Mehrheit von rund 90 Prozent der abgegebenen Stimmen. Doch dass es so wenige Nein-Stimmen gab, dürfte auch damit zusammenhängen, dass die Opposition zum Boykott der Wahl aufgerufen hatte. Auch Student Damien ist nicht hingegangen und hat so mit dafür gesorgt, dass die vorgeschriebene Mindestbeteiligung von 50 Prozent nicht erreicht wurde. Die Abstimmung ist somit ungültig – zumindest offiziell.

Doch die Regierung interpretiert das Ergebnis anders. Niemand wisse schließlich derzeit genau, wie viele Einwohner Mazedonien überhaupt hat, argumentiert sie. Die letzte Zählung fand im Jahr 2002 statt. Seitdem haben Hunderttausende auf der Suche nach einem besseren Leben das Land verlassen. Tatsächlich spricht viel dafür, dass es noch höchstens 1,5 Millionen Menschen sind, die heute im Land leben, während die Register aber alleine 1,8 Millionen Wahlberechtigte führen. Da somit am Ende doch mehr als 50 Prozent derjenigen, die noch da sind, abgestimmt haben könnten, sehen sich im Land nun beide politischen Lager als Gewinner. Die Regierung genau wie die Opposition.

Oppositionsführer Hristijan Mickovski blickt vom 8. Stock der Parteizentrale über die Hauptstadt Skopje. Auf dem Boden liegt ein schwerer roter Teppich, an den Wänden hängen wuchtige Gemälde. Der Chef der konservativ-nationalistischen VMRO trägt Sakko zur Jeans und die Haare gegelt. „Es ist offensichtlich, dass das Referendum nicht erfolgreich war“, sagt er. Und das sei eindeutig die Schuld der Regierung. Sie habe in Person des sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Zoltan Zaev ganz einfach schlecht mit Athen verhandelt. Dadurch dass er die Namensänderung als Teil der Einigung akzeptiert hat, habe der Regierungschef eine rote Linie überschritten. Künftig würden „weitere Erniedrigungen für Mazedonien folgen“, sagt Mickovski. „Und unsere Partei hat der Ministerpräsident dabei von den Verhandlungen ausgeschlossen.“ Es klingt fast, als störe ihn das eigentlich am meisten.

Mickovskis VMRO war zehn Jahre selbst an der Macht, bis es nach einem Abhörskandal im Dezember 2016 zu vorgezogenen Parlamentswahlen kam. Ein knappes Ergebnis brachte schwierige Koalitionsverhandlungen, die im April 2017 in einem Gewaltausbruch von VMRO-Anhängern im Parlament gipfelten. Dabei trug auch der heutige Regierungschef Zaev blutige Wunden im Gesicht davon. Nur gut einen Monat später bildete Zaev dann gemeinsam mit den beiden Parteien der albanischen Minderheit die neue Regierung – ohne die VMRO.

Nun aber kommt es doch wieder auf die Nationalkonservativen an. Da das Referendum nämlich rechtlich nicht bindend ist, kann der Deal mit Griechenland noch immer im Parlament mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit beschlossen werden – egal, ob nun mit oder ohne Zustimmung der Bevölkerung. Doch dafür braucht die Regierung mindestens elf Abgeordnete von Mickovskis VMRO. Deren Chef gibt sich allerdings unversöhnlich. „Ich kann kein Flip-Flop-Politiker sein“, sagt er. Doch kaum jemand glaubt, dass Mickovski wirklich die gesamte VMRO-Fraktion kontrolliert. Hinter den Kulissen laufen die Gespräche. „Wir erwarten, dass die Oppositions-Abgeordneten dem Willen der Bevölkerung folgen“, sagt Regierungssprecher Mile Boshnjakovski. Klar ist, dass es nun schnell gehen muss. Dauert es zu lange, ist das Risiko groß, dass die Frage, ob Mazedonien wirklich EU-Mitglied werden soll, in Griechenland am Ende noch zum Wahlkampfthema vor der Europawahl im Mai 2019 wird. Wenn sich der politische Wind dort dann dreht, könnte sich diese Tür für immer schließen. Denn auch in Athen muss das Parlament dem Handel zustimmen. Nächste Woche soll deshalb klar sein, ob die mazedonische Regierung ihre Mehrheit zustande bringt. Wenn nicht, will sie das Parlament auflösen und Neuwahlen einleiten. „Es gibt kein Zurück“, sagt Artan Grubi von der albanischen Regierungspartei DUI. Der Traum von Europa müsse weitergehen, sonst drohten soziale Spaltungen im Land. „Mazedonien ist zerbrechlich.“

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