Potsdam – Es ist ein ganz neues Gefühl für Angela Merkel. Während die neue CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer an diesem Montagmorgen in Potsdam ein Interview nach dem anderen gibt, geht die Kanzlerin schnurstracks an den Kameras vorbei. Freundlich grüßend, aber ohne Kommentar. Beim vierten Interview muss Kramp-Karrenbauer schließlich passen. Sie müsse jetzt dringend zur Präsidiumssitzung ihrer Partei: „Ich bin ja die Chefin.“
Und die Chefin formuliert die Ziele für das Wahljahr 2019 in den ostdeutschen Bundesländern klar und deutlich. Man wolle in Sachsen für CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer eine gute Basis schaffen, damit er weiter regieren könne. In Brandenburg (derzeit Rot-Rot) und Thüringen (Rot-Rot-Grün unter Führung der Linken) wolle man regieren.
Die Agenda, die sie hier setzen will, hat Kramp-Karrenbauer schon bei der Hand. Man müsse auf die Lebensleistung der Menschen in Ostdeutschland schauen und auf die gebrochenen Erwerbsbiografien nach der Wende. Der Thüringer CDU-Chef Mike Mohring, der bis Ende Januar Vorschläge zur Rente erarbeiten soll, empfiehlt eine Grundrente zehn Prozent über der Grundsicherung. Ihm geht es vor allem um die Frage des inneren Zusammenhalts in Ostdeutschland und darum, den rechten Populisten von der AfD den „Resonanzboden“ zu entziehen.
Eine Grundrente ist bereits im Koalitionsvertrag festgehalten. Kramp-Karrenbauer lässt offen, ob diese aus einem Gesamtrentenkonzept herausgelöst behandelt werden könnte. Aber sie setzt die Bundesregierung von Merkel, ihrer Vorgängerin im Parteivorsitz, unter Druck, möglichst schnell zu liefern. Am besten vor den Wahlen im Osten. „Es gibt eine ganz klare Erwartung an die Bundesregierung und auch in der Bundesregierung an den Bundesarbeitsminister“, sagt sie im ARD-„Bericht aus Berlin“.
AKK, wie Kramp-Karrenbauer gerne kurz genannt wird, will auch etwas für die Steuerzahler tun – etwa mit einem schnellen und kompletten Abbau des Solidaritätszuschlages. Die Kanzlerin tat sich damit bei den Sondierungen zu Jamaika und den Koalitionsverhandlungen mit der SPD noch schwer. Nun will die neue Parteichefin den Hamburger Parteitagsbeschluss vom Dezember zügig umsetzen und den Soli bis 2021 komplett abbauen.
Das könnte Ärger mit dem Koalitionspartner SPD geben. Der Aussage von Finanzminister Olaf Scholz (SPD), bei einer Konjunktureintrübung sähe er Spielraum für Steuersenkungen, hält AKK schon mal entgegen: Wenn Spielräume da seien, solle man die Steuersenkung so vornehmen, dass es erst gar nicht zu einer Eintrübung komme.
Wie weit AKK dieses Konfliktfeld mit dem Koalitionspartner eskalieren will, lässt sie offen. Streiten um des Streitens willen ist nicht ihre Sache. Aber wenn es sein muss, schon. Das ist jedoch ein schmaler Grat. Haut sie zu sehr drauf und drängt den Koalitionspartner in die Ecke, könnte der Großen Koalition, wenn nicht schon nach der sehr schwierigen Europawahl Ende Mai, spätestens bei der Revision zur Halbzeit der Legislaturperiode das Aus drohen. » KOMMENTAR