München – Merz, Spahn, Laschet. Auf den Einwurf eines Journalisten, dass er nun schon der vierte Kandidat aus Nordrhein-Westfalen sei, reagiert Norbert Röttgen am Dienstagmittag erstaunlich selbstbewusst: „Ich bin der erste Kandidat.“ Und irgendwie hat der Mann ja Recht: Keiner der drei anderen Herren hat sich bislang erklärt. Merz rauscht gestern Mittag kommentarlos aus dem Konrad-Adenauer-Haus, in dem er zuvor mehr als eine Stunde mit Annegret Kramp-Karrenbauer gesprochen hat. Ein „sehr gutes Gespräch“ sei es gewesen, lässt er hinterher verbreiten. Klar ist aber: Eine Teamlösung, wie sie vor allem Armin Laschet vorschwebt, wird mit Röttgens Ambitionen komplizierter.
Röttgen erklärt sich mittags vor der Bundespressekonferenz. Auf der Münchner Sicherheitskonferenz sei er von zahlreichen ausländischen Politikern gefragt worden, was da in der CDU los sei. Da sei die Entscheidung gereift. „Es geht hier nicht um die Ambitionen einzelner, sondern um die personelle, inhaltliche und strategische Zukunft der CDU“, sagt Röttgen. Bislang sei nur über Personen und nicht über Inhalte geredet worden.
Er habe sich mit keinem anderen Bewerber über seine Kandidatur abgesprochen, sagt Röttgen. Am Morgen informierte er AKK per E-Mail, später hätten sie miteinander gesprochen. Röttgen fordert, die Personalfrage noch vor der Sommerpause zu entscheiden. Es sei für ihn unvorstellbar, dass sich die CDU bis zum Jahresende mit Personalfragen beschäftige. Der Außenpolitik-Experte erinnert an die mögliche Wiederwahl von Donald Trump, „nach der wir eine gesteigerte Form des Bisherigen“ erleben würden.
Der oder die neue Vorsitzende habe den ersten Zugriff auf die Kanzlerkandidatur. Dann müsse bis zum Jahresende gemeinsam mit der CSU über die Kanzlerkandidatur entschieden werden, findet Röttgen. Er gehe davon aus, dass Angela Merkel bis zum Ende der Wahlperiode Kanzlerin bleibe.
Röttgen und Merkel verbindet eine wechselhafte Geschichte. 2012 hatte die Kanzlerin ihren damaligen Umweltminister gefeuert, nachdem er bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen mit 26 Prozent das bis dato schlechteste Ergebnis der Partei geholt hatte. Röttgen hatte sich im Wahlkampf nicht voll zu NRW bekannt und offen gelassen, ob er im Fall einer Niederlage als Oppositionsführer in den Landtag wechselt. Merkel missbilligte diese Strategie. Legendär ist ein Wutausbruch von Horst Seehofer über Röttgens Wahlkampf im ZDF-Interview („Das können Sie alles senden“). Röttgens Vorsprung in NRW sei geschmolzen wie ein Eisbecher in der Sonne. Kurz darauf wurde Röttgen entlassen. Der Geschasste, der heute Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag ist, bedankte sich in der Folge mit diversen kritischen Einwürfen – etwa als Merkel eine weitere Amtszeit ankündigte. Zuletzt nannte er im November die eigene Regierung in der „New York Times“ einen „Totalausfall“.
Gestern ist Röttgen vorsichtiger. Es sei richtig, dass die Zahl der Flüchtlinge nach Deutschland zurückgegangen sei. „Aber von Ordnung der Migration kann nicht die Rede sein.“ Er mache dabei niemandem einen Vorwurf, denn: „Migration hat tiefe Ursachen, die man nicht so einfach ordnen kann.“ Damit will Röttgen nicht der AfD das Wort reden – von ihr und von der Linkspartei grenzt er sich entschieden ab.
Mit Röttgen könnte sich die Auseinandersetzung weg von Personalien hin zu Inhalten verschieben, jedenfalls langfristig. Aktuell aber knirscht es unionsintern. Der rheinland-pfälzische CDU-Fraktionschef Christian Baldauf kritisiert CSU-Chef Markus Söder für dessen Hinweis, der CDU-Chefsessel bedeute nicht automatisch die Kanzlerkandidatur. „Wenn Markus Söder nach der Kanzlerschaft greifen will, dann soll er es bitteschön jetzt erklären und uns keine Hängepartie bis ins nächste Jahr zumuten“, sagt Baldauf der „Welt“. Man könne sich nicht ewig mit Personalfragen quälen.
Spannend wird, wie es nun weitergeht. Eine Urwahl, wie sie CSU-Urgestein Peter Gauweiler gestern forderte, werden weiter wenig Chancen eingeräumt. Aber die CDU ist derzeit immer für eine Überraschung gut.