Washington – Es war erneut eine Nacht des Schreckens in den USA, bei der sich die Wut gewaltbereiter Demonstranten erstmals direkt gegen Polizeibeamte richtete – sogar mit dem Einsatz von Schusswaffen. In der Nacht zu gestern wurden in St. Louis (Missouri) vier Polizisten durch Kugeln verletzt, als sie in einer Absperrkette standen. Am „Circus Circus“-Hotel in Las Vegas wurde ein Cop durch einen Unbekannten, der sich von hinten an ihn herangeschlichen hatte, in den Kopf geschossen. Unklar ist, ob er überlebt.
Gleichzeitig zeigte sich vor allem in New York, dass Ausgangssperren und die Präsenz der Nationalgarde kaum Einfluss auf die Ruhe in den Städten haben. Erneut wurden in Manhattan zahlreiche Geschäfte geplündert. Nun werden die Regeln verschärft: Bis Sonntag dürften nur systemrelevante Berufstätige zwischen 20 Uhr und 5 Uhr ihre Häuser verlassen.
Vor allem die direkten Attacken auf die Polizei stellen eine Woche nach dem Tod des Afro-Amerikaners George Floyd in Polizeigewahrsam eine neue Dimension der Eskalation dar. Die Strategie von Präsident Donald Trump ist vorerst gescheitert, sich als Mann von „Law and Order“ (Recht und Ordnung) zu präsentieren. Bei einer kurzen Rede vor dem Weißen Haus hatte Trump Krawallmacher massiv kritisiert, sie als „inländische Terroristen“ bezeichnet und die Bundesstaats-Gouverneure aufgefordert, man müsse „die Straßen dominieren“. Falls dies nicht geschehe, werde er das US-Militär gegen gewaltbereite Demonstranten einsetzen.
Umstritten ist, ob dies verfassungsgemäß ist. Trump will sich auf ein über 150 Jahre altes Gesetz berufen, das dies in einem Ausnahmezustand erlaubt. Vor allem Gouverneure mit demokratischem Parteibuch widersetzen sich vehement einem Militäreinsatz. Gretchen Whitmer, die Gouverneurin von Michigan, nannte die Aussagen Trumps „gefährlich“. Der Präsident wolle „Hass und Spaltung säen“. Der Feind aller Bürger sei Rassen-Ungerechtigkeit und nicht der nächste Bürger. Jay Inslee, Gouverneur des Bundesstaates Washington, sprach vom „Wutausbruch eines unsicheren Mannes, der versucht, nun stark auszusehen, nachdem er seine gesamte Karriere auf Rassismus aufgebaut hat“. Auch Andrew Cuomo (New York) will sich der Entsendung von Soldaten zum Kampf gegen Randalierer widersetzen: „Trump will das Thema nur auf Plünderungen zuspitzen.“
Andernorts fanden die Worte des Präsidenten Zustimmung. Grady Judd, der Sheriff des Bezirks Polk County in Florida, forderte die Bürger in einer Ansprache auf, auf Plünderer zu schießen. „Lasst uns in Frieden“, so der Sheriff.
Nach seiner Rede besuchte Trump auch die am Vorabend in Brand gesetzte und beschmierte St. Johns-Kirche. Um dem Präsidenten ungestörten Zugang zu sichern, wurden dabei gegen friedliche Demonstranten Tränengas und angeblich Gummigeschosse eingesetzt. Der römisch-katholische Erzbischof der US-Hauptstadt, Wilton Gregory, protestierte scharf gegen den Besuch an einem Schrein für Papst Johannes Paul II. Der Schrein sei „missbraucht“ worden. Der Papst sei ein leidenschaftlicher Streiter für Menschenwürde gewesen, erklärte Gregory.
Unterdessen hat Trumps wahrscheinlicher Kontrahent bei der Wahl im November, Joe Biden, bei Vorwahlen der oppositionellen Demokraten seinen Siegeszug fortgesetzt. Der frühere Vizepräsident gewann in Michigan, Mississippi und Missouri. Michigan kam bei dieser Vorwahlrunde die zentrale Rolle zu: Dort wurden 125 und damit besonders viele der Parteitagsdelegierten vergeben, die im Juli den Präsidentschaftskandidaten nominieren. Zudem ist Michigan ein „Swing State“ mit Schlüsselrolle bei der Wahl. (mit kna/dpa)