Italien: Conte im schwierigen Spagat

von Redaktion

VON JULIUS MÜLLER-MEININGEN

Rom – Giuseppe Conte hat bei den Italienern einen Stein im Brett. Viele Landsleute denken, der Ministerpräsident habe Italien bislang mit ruhiger Hand durch die Corona-Pandemie geführt. In einer Umfrage äußerten beinahe 60 Prozent der Befragten die Ansicht, dass die vom 55 Jahre alten Juraprofessor geführte Regierung noch lange im Amt sein wird. Conte, der sehr bedacht auf seine äußere Erscheinung wirkt, ist in der öffentlichen Meinung einer der wenigen Fixpunkte in der italienischen Politik.

Dieser Tage hat der Premierminister allerdings ein gravierendes Problem, das letztendlich auch das vorzeitige Ende seiner politischen Ägide bedeuten könnte. Conte, der am Dienstag mit Bundeskanzlerin Angela Merkel telefonieren wollte, muss den EU-Partnern ein großes Dilemma klarmachen. Das wirtschaftlich nach dem dreimonatigen Lockdown angeschlagene Italien braucht dringend finanzielle Hilfen. Doch der Koalitionspartner von der Fünf-Sterne-Bewegung, die den parteilosen Conte einst nominierte, lehnt einen Teil dieser Hilfen ab.

Die Fünf Sterne haben nichts am Recovery Fund genannten 750 Milliarden Euro schweren Hilfsfonds auszusetzen, der beim EU-Gipfel am 17. Juli verabschiedet werden soll. Österreich, die Niederlande, Schweden und Dänemark haben noch Bedenken. Italien erhofft sich aus diesem Topf bis zu 170 Milliarden Euro an Zuschüssen und Krediten, hat aber noch keine konkreten Pläne, wohin genau das Geld fließen soll. Kredite in Höhe von 36 Milliarden Euro stehen für Italien zudem aus dem Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) bereit. Weil es sich dabei ursprünglich um einen in Folge der Finanzkrise 2008 geschaffenen Mechanismus handelt, demzufolge der Kreditnehmer im Gegenzug Wirtschaftsreformen liefern muss, lehnen nicht wenige Fünf-Sterne-Abgeordnete die Hilfe aus dem ESM ab.

Die Parteispitze um Außenminister Luigi Di Maio würde die Kredite in Anspruch nehmen – doch der Widerspruch ist massiv. In den Augen zahlreicher Parlamentarier ist der ESM Ausdruck einer erpresserisch agierenden EU. Dieses Bild ist bei italienischen Wählern immer noch weit verbreitet. Dabei ist längst klar, dass die ESM-Reform-Auflagen, wie sie einst etwa Griechenland auferlegt wurden, wegen Corona wegfallen. Einzige Bedingung ist, dass die 36 Milliarden für den Gesundheitssektor eingesetzt werden, der sich während der Pandemie mit 34 000 Todesopfern in Italien als mangelhaft erwies. Dennoch wollen einige „Grillini“ die Hilfsgelder nicht in Anspruch nehmen. Eine Abstimmung im Parlament, die der Premier unbedingt vermeiden will, würde die Fünf Sterne spalten und wohl das Ende der Regierung Conte bedeuten.

Nun weist der Koalitionspartner vom Partito Democratico (PD) zu Recht darauf hin, dass die Kredite aus dem ESM beinahe zum Nulltarif angeboten werden. Würde das hoch verschuldete Italien sich 36 Milliarden Euro an den Finanzmärkten leihen, wären dafür in einem Zehnjahreszeitraum fünf Milliarden Euro Zinsen fällig. „In Brüssel denken sie wahrscheinlich: komische Leute da in Rom, die Geld wegwerfen“, sagt ein Finanzfachmann und Ex-Politiker in Rom. Tatsächlich muss Premier Conte auch mit Widerstand in Brüssel rechnen. Warum sollen Länder wie Österreich, die eine Vergemeinschaftung von Schulden durch die Hintertür befürchten, einer Regierung helfen, die Kredite zum Nulltarif ablehnt?

Conte, seit 2018 erst in einer Koalition mit der rechten Lega und seit vergangenem Herbst mit den Sozialdemokraten im Amt, muss den wohl schwierigsten Spagat seiner Zeit als Regierungschef überstehen. Er soll einerseits Hilfsgelder organisieren, kämpft zuhause aber mit zentrifugalen Kräften. Der 55-Jährige spielt auf Zeit: Über den ESM sollte man in Rom erst im Herbst entscheiden.

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