München – Jens Baas leitet die mit fast elf Millionen Versicherten größte deutsche Krankenkasse. Im Interview erklärt der Techniker-Chef, wo aus seiner Sicht zu viel Geld ausgegeben wird.
Herr Baas, während gerade alles teurer wird, steigen bald auch die Krankenkassenbeiträge. Worauf müssen sich Ihre Versicherten einstellen?
Unsere Beitragssätze legt die Selbstverwaltung erst Ende des Jahres fest. Deshalb kann ich das noch nicht genau sagen. Klar ist aber, dass es im Schnitt alle gesetzlichen Krankenversicherungen mindestens 0,3 Prozentpunkte teurer werden, vielleicht auch mehr. 0,3 Prozentpunkte können einen dreistelligen Betrag pro Jahr ausmachen.
Damit es für die Beitragszahler nicht noch teurer wird, will Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach an die Rücklagen der Krankenkassen ran.
Ja. Man hat uns, beziehungsweise den Beitragszahlenden, zuerst mit teuren Gesetzen viel Geld abgenommen, und jetzt will Herr Lauterbach die entstandenen Löcher auch noch mit unseren letzten verbliebenen Rücklagen stopfen. Das ist, als würde man ein Pflaster auf eine infizierte Wunde kleben. Dann sieht man sie kurz nicht mehr, aber das Problem besteht weiter und wird sogar schlimmer. Denn Reserven kann man nur einmal ausgeben. Was machen wir im nächsten Jahr, wenn die Rücklagen weg sind?
Beneiden Sie die privaten Krankenversicherungen, deren Rücklagen gesetzlich geschützt sind?
In diesem Punkt schon. Denn wer keine Rücklagen mehr hat, muss extrem kurzfristig wirtschaften und bei jeder kleinen Schwankung sofort den Beitragssatz anpassen. Wir könnten also in eine Welt hineinlaufen, in der Krankenkassen ihre Beiträge mehrmals jährlich rauf- und runtersetzen. Da haben gesetzlich Versicherte dann einen eindeutigen Nachteil.
Wo würden Sie sparen?
Wir müssen wegkommen von dem Gedanken: Wo kann man kurzfristig sparen? Stattdessen müssen wir uns fragen, wo wir strukturell zu viel Geld ausgeben – auch wenn solche Reformen nicht von heute auf morgen wirken. Ich denke an drei zentrale Punkte.
Welche sind das?
Wir haben in Deutschland viel zu viele stationäre Behandlungen in Krankenhäusern, die in anderen Ländern ambulant erfolgen, zum Beispiel bei Leistenbruchoperationen. Menschen wollen aber nicht unnötig im Krankenhaus liegen. Durch den Klinikaufenthalt steigt auch das Risiko, sich mit einem Krankenhauskeim anzustecken. Aber er ist auch teurer als eine ambulante Behandlung. Unnötige stationäre Behandlungen binden viel Personal, das ohnehin an allen Ecken und Enden fehlt. Hinzu kommt: Wir haben viel zu viele Klinikbetten, die die Krankenhäuser auslasten müssen, damit sie keine finanziellen Probleme bekommen. Deshalb werden, zum Beispiel bei Rückenoperationen, Eingriffe durchgeführt, die man nicht machen müsste. Wir brauchen eine grundlegende Reform des Krankenhaussektors mit mehr spezialisierten Zentren und einer deutlich verbesserten Zusammenarbeit mit dem ambulanten Sektor. Die Grundversorgung muss natürlich überall erhalten bleiben, aber wenn bei mir eine Tumoroperation ansteht, sollte ich lieber zum Spezialisten gehen.
Dahinter steht für viele Menschen der Verlust ihrer regionalen Klinik. Das anzupacken, grenzt für einen Landespolitiker an politischen Selbstmord.
Dadurch werden sich die Angebote an einigen Häusern verändern. Eine solche Reform ist schwierig, aber allein schon für eine bessere Qualität notwendig. Deshalb müssen die Rahmenbedingungen solch einer Reform zentral aus Berlin kommen. Die konkreten Entscheidungen zur Krankenhausplanung treffen dann die Länder vor Ort. Und wenn eine Neustrukturierung einmal geschafft ist, werden auch die Patienten begeistert sein. Als Patient weiß ich dann, dass der Arzt, der mich operiert, das zwei Mal täglich macht und nicht nur hin und wieder. Und ich weiß dann auch, dass ein Eingriff wirklich nötig ist, und nicht durchgeführt wird, weil man sich gerade ein neues Gerät dafür gekauft hat.
Wo ist noch Sparpotenzial?
Im Bereich der Arzneimittel. Es werden in den kommenden Jahren eine ganze Reihe sehr guter, aber auch extrem teurer Medikamente auf den Markt kommen. Um sie uns leisten zu können, müssen wir uns überlegen, wie wir zu vernünftigeren Preisen für neue Arzneimittel kommen. Ich weiß, die Pharma-Industrie jammert gerne. Aber wer Aktien aus diesem Bereich besitzt, hat keinen Grund zu jammern. Wir müssen uns fragen, welche Konzerngewinne in einem sozial finanzierten System möglich sein dürfen. Um das zu steuern, muss die Politik bessere gesetzliche Rahmenbedingungen schaffen.
Und der dritte Sparansatz?
Die Digitalisierung. Wir verschwenden unglaubliche finanzielle und personelle Ressourcen mit Papier-Verwaltung.
Und alle Versuche das zu ändern, kommen schwer voran…
Ja. Weil sie Transparenz schafft, wird Digitalisierung immer wieder von allen Seiten blockiert, um eigene Interessen zu schützen. Ein zweites Problem ist, dass wir zu deutsch rangehen. Digitale Lösungen sollen bereits zum Start in allen Details perfekt sein, dadurch kommen wir nicht in die Umsetzung. Wir brauchen im Gesundheitswesen mehr Mut, neuen Ansätzen die Chance zu geben, sich zu entwickeln und zu beweisen.
Interview: Sebastian Horsch