München – Erst am Wochenende haben wieder tausende Menschen in Tel Aviv demonstriert. Sie erinnerten daran, dass die 136 verbleibenden Geiseln bereits seit 120 Tagen in den Fängen der Hamas leben – und dass die Regierung längst nicht genug für ihre Freilassung tue. Jetzt meldet die „New York Times“, dass mehr als ein Fünftel der Geiseln gar nicht mehr leben soll. Israelische Geheimdienstoffiziere schätzen demnach, dass mindestens 32 von ihnen seit Beginn des Krieges gestorben sind.
Ihre Familien wurden bereits informiert, sagen die Beamten, die in dem Artikel anonym bleiben wollen. Man werte außerdem Hinweise aus, die darauf hindeuteten, dass noch 20 weitere Geiseln tot sein könnten.
Die Nachricht dürfte die Wut vieler Israelis auf ihren Regierungschef weiter verschärfen. In den vier Monaten nach dem Angriff der Hamas ist Benjamin Netanjahu zunehmend unter Druck geraten. Viele glauben, dass der Ministerpräsident im GazaKrieg das falsche Ziel verfolgt: Der „Times of Israel“ zufolge spricht sich knapp über die Hälfte der Israelis dafür aus, dass sich Netanjahu in erster Linie um die Freilassung der Geiseln bemühen sollte – und nicht die Zerstörung der Hamas.
Angehörige der Geiseln sind mit ihrer Geduld am Ende. Sie sorgen sich, dass Gaza im Krieg in Schutt und Asche gelegt wird, bevor ihre Liebsten frei kommen können. Tausende Demonstranten haben in den vergangenen Tagen Netanjahus Rücktritt gefordert. Die Proteste werden immer hitziger: Vor einer Woche sind etwa 200 Menschen in Tel Aviv mit der Polizei aneinandergeraten, berichtet die israelische Zeitung „Haaretz“.
Auch die Opposition macht Dampf. Oppositionsführer Yair Lapid hat dem Ministerpräsidenten angeboten, in die Regierung einzutreten. Er wolle sich im Kabinett für einen Deal mit der Hamas einsetzen, heißt es. Laut der „Times of Israel“ hat Lapid gegenüber Netanjahu klargemacht, dass er sich nicht für die Regierungsämter selbst interessiere: „Ich war Außenminister, ich war Finanzminister, ich war Ministerpräsident. Mich interessiert nur eines – die Geiseln zurückzubringen.“
Auch von internationaler Seite wächst der Druck, ein Abkommen mit der Hamas zu besiegeln. US-Außenminister Antony Blinken hat sich gestern in Ägypten mit Präsident Abdel Fattah al-Sisi getroffen. Der aktuelle Entwurf für ein mögliches Abkommen sieht eine sechswöchige Feuerpause vor. Zunächst könnten 35 bis 40 Geiseln im Austausch für 200 bis 300 palästinensische Häftlinge und 200 bis 300 Lkw-Hilfslieferungen freikommen, hieß es aus Hamas-Kreisen. Weder Israel noch die Hamas haben dem Vorschlag bislang zugestimmt. Die Hamas erklärte, sie brauche Bedenkzeit. Blinken kündigte an, Israel heute eine Antwort der Hamas zu überbringen. Sie sei „positiv“, sagte er – und dämpfte zugleich die Hoffnung: Es gebe „noch viel zu tun“, sagte Blinken. Auch die israelische Seite scheint bislang nicht einknicken zu wollen. Netanjahu hatte erst kürzlich deutlich gemacht, man werde den Krieg nicht beenden, die Truppen nicht abziehen und für einen Geisel-Deal nicht „tausende Terroristen“ freilassen. (mit afp)