KOMMENTARE

Merz und Scholz haben verloren

von Redaktion

Asyl-Abstimmung im Bundestag

Wann hat es das schon mal gegeben? Die ganze Nation vor den Fernsehbildschirmen versammelt – nicht für ein Fußball-Endspiel, sondern für eine Bundestagsdebatte. Der 31. Januar 2025 wird in die deutsche Nachkriegsgeschichte eingehen als ein großer Tag des Parlamentarismus. Als ein Tag, an dem das Herz der deutschen Demokratie so schnell und leidenschaftlich schlug wie in Jahrzehnten nicht mehr, weil Koalitionsregierungen wie gut geölte Konsensmaschinen wie am Fließband Kompromisse des meist kleinsten gemeinsamen Nenners ausspuckten. Gestern war alles anders.

Das ist die eine Seite. Die andere: Zum ersten Mal hat es die politische Mitte des Landes nicht mehr geschafft, sich im Bundestag in einer zentralen Frage zusammenzuraufen. Für CDU-Chef Friedrich Merz hat es am Ende noch nicht mal für einen Pyrrhus-Sieg mit den Stimmen von Links- und Rechtsradikalen gereicht. Und selbst, wenn es gereicht hätte, hätte es sich nicht gut angefühlt. Genauso wenig gut übrigens wie die Besetzung von CDU-Parteizentralen, zu denen sich linke Gruppen zuletzt zusammenfanden, die sich selbst zum Widerstand ermächtigten. Gesetzeskraft hätte das „Zustrombegrenzungsgesetz“ ohnehin nicht erlangt, weil selbst ein CDU-regiertes Land wie Berlin angekündigt hat, im Bundesrat nicht dafür zu stimmen. Es ist ein Problem für Merz, dass der Merkel-Flügel seiner Partei sich in entscheidenden Momenten noch immer gegen ihn stellt.

Als Sieger feiern sich jetzt SPD und Grüne, die mit dem „Kampf gegen rechts“ endlich ein Thema gefunden haben, um von ihrem eklatanten Versagen in der Wirtschafts- und Energiepolitik abzulenken. So kämpferisch wie diese Woche hat man den Kanzler noch nie erlebt. Doch auch er hat gestern in Wahrheit eine Niederlage erlitten, weil er es nicht geschafft hat, das Land in der zentralen Frage der Migrationspolitik zusammenzuhalten, so wenig wie er es vermocht hatte, seine Ampelregierung über die volle Legislatur zu retten. Möglich wäre das gewesen. An Angeboten der Union für eine gemeinsame Asyl-Reform hatte es in den vergangenen drei Jahren nicht gefehlt, sehr wohl aber am Willen von Grünen und dem linken Flügel der Sozialdemokraten, über ideologische Schatten zu springen und gemeinsam wirksame Maßnahmen zur Begrenzung der illegalen Zuwanderung zu beschließen, die sich eine überwältigende Mehrheit der Bevölkerung dringend wünscht.

Den Vorgängern von Olaf Scholz und Friedrich Merz war genau das noch gelungen: 1992 hatten der CDU-Kanzler Helmut Kohl und der starke Mann der SPD, Gerhard Schröder, einen historischen Asyl-Kompromiss geschmiedet, der die damalige Fluchtwelle infolge des Jugoslawienkriegs beendete (allein 1992 waren 700 000 Menschen nach Deutschland geströmt). Der Spuk der in der Krise erstarkten rechtsradikalen „Republikaner“ war danach schnell wieder vorbei. Die gestrige Kapitulation der politischen Mitte lässt erahnen: Anders als 1992 die Republikaner wird sich die AfD so leicht nicht mehr niederringen lassen. Der aus Sicht vieler Bürger enttäuschende Ausgang der gestrigen Abstimmung könnte den Rechten bei der Bundestagswahl einen weiteren Schub geben. Die neue Bundesregierung, wer immer sie auch bilden wird, muss hohe Brücken bauen, um die tiefen Brüche zu überwinden, die sich in Deutschland aufgetan haben.


GEORG.ANASTASIADIS@OVB.NET

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