Flintsbach – Traditionen zeichnen sich dadurch aus, dass es sie – zumindest dem Gefühl nach – schon immer gab, auf jeden Fall solang man sich erinnern kann. Sie an einer Person festzumachen: „Der ist es, der den Brauch ins Leben rief“ – das ist in der Regel unmöglich. Nicht so bei der Sänger- und Musikantenwallfahrt auf den Petersberg. Hier weiß man genau, wer am Anfang stand: Sepp Wieland senior, der im August 93 Jahre alt wird.
Musikanten sind hier
selbst Wallfahrer
Um den „Wallfahrtsbegründer“ wurde am vergangenen Sonntag keinerlei Aufhebens gemacht – Sepp Wieland war ein ganz normaler Pilger wie alle anderen: Und das heißt, dass er als Teil der Inntaler Sänger mit Franz Singer und Peter Anderl an der neunten Station des Apostelstationsweges sang und später noch einmal am Altar während der Messe. Denn das ist die Besonderheit, die die Wallfahrt vor allem auszeichnet: die Sänger und Musikanten sind nicht Beiwerk, die eine Wallfahrt „ausschmücken“, sie sind selbst die Wallfahrer, die einfach von einigen anderen ohne Instrumente und Stimme begleitet werden.
Damit hat sich das erhalten, was ganz am Anfang der Wallfahrt stand: In den 80ern setzte der damalige Flintsbacher Kirchenpfleger Sepp Wieland eine kleine Gruppe von Südtiroler Wallfahrern, die nicht mehr recht gut zu Fuß waren, am Beginn des sogenannten Apostelstationsweges ab, also auf dem letzten Drittel des Petersberganstiegs. Er selbst fuhr weiter hoch zur Kirche, um dort wieder einmal nach dem Rechten zu schauen.
„Dann“ so erzählt er, „bin ich aus der Kirche raus, um zu sehen, wann die Gruppe ein Stück weiter unten aus dem Wald herauskäme, um rechtzeitig mit dem Läuten beginnen zu können. Als ich sie dann sah, betend und singend, vor dieser grandiosen Kulisse des Inntals, da dacht ich mir: Was für ein Bild. Da wenn jetzt noch Musik dabei wär“. Aus diesem Bild heraus 1989 eine Wallfahrt ins Leben gerufen zu haben, das ist eine Leistung, die sehr gut für die ganze Persönlichkeit Sepp Wielands stehen kann: Er ist ein Mann, der wie es so schön heißt, „die Arbeit sieht“ und dann vor den Aufgaben, die sich stellen, nicht davonläuft. Sondern im Gegenteil beherzt und ohne Zaudern oder langes Reden zupackt. Deshalb ist die Wallfahrt auch nicht das einzige Denkmal, das er sich schon zu Lebzeiten gesetzt hat – auch wenn er es selbst niemals so sehen und schon gar nicht formulieren würde. Doch es ist so: Ohne ihn gäbe es zum Beispiel kein Pfarrmuseum in Flintsbach.
Dessen Exponate geben einen Einblick in die Glaubensgeschichte der vergangenen Jahrhunderte in unserem Landstrich – ohne Sepp Wieland und den von ihm organisierten Freundeskreis des Museums wären sie aber für die Region verloren gewesen, mit Glück noch zu sehen in irgendwelchen Räumen der Erzdiözese München und Freising.
Ohne ihn wäre wohl auch kaum noch eines der alten Grabkreuze um die Pfarrkirche Sankt Martin erhalten, wahrscheinlich der Friedhof selbst auch schon aufgelöst.
Weit über die Region
hinaus bekannt
Mindestens ebenso kennzeichnend wie das Anpacken sind für ihn aber auch Bescheidenheit und – damit verbunden – das Maßhalten in allem Tun. Wäre es anders, wäre die Sänger- und Musikantenwallfahrt mittlerweile zu einem „Event“ geworden, bei dem der Glaube, um den es eigentlich geht, wohl längst in den Hintergrund gedrückt worden wäre.
Denn über 35 Jahre hinweg eine Tradition zu pflegen, die Sänger und Musikanten weit über die Region hinaus anzieht und sich dabei dennoch ihren ursprünglichen Rahmen bewahrt – das ist ein Spagat, der nur gelingen kann, wenn man zur Selbstbeschränkung fähig ist.
So aber ist die Wallfahrt heute noch, was sie in jenem Bild aus den 80ern zu werden versprach: Ein Zusammenfinden von Menschen im Glauben, die ihm durch Singen und Musizieren einen Ausdruck geben. Es sind heute mehr als damals, aber es ist kein überlaufenes Spektakel daraus geworden. Und mitten unter ihnen auch heute noch Sepp Wieland und seine Frau Balbina.