„Viele Widersprüche“

von Redaktion

Fast ein Jahr Widerstand in Rott gegen große Flüchtlingsunterkunft

Rott – Eine Hoffnung hat Bürgermeister Daniel Wendrock schon fast aufgegeben: Er geht nicht mehr davon aus, dass die Gemeinde Rott bei der Anzahl der Geflüchteten in der geplanten Erstaufnahme-Einrichtung noch mit einer weiteren Reduzierung der Belegung rechnen kann. Denn aus dem Innenministerium erreichte den Rathauschef ein Schreiben, das klarstelle: 250 bis 300 Menschen seien unterzubringen, eine Reduzierung komme nicht infrage.

Rott hatte stets versucht, die Zahl auf etwa 180 bis 200 zu senken. Dann könnte eine der beiden Turnhallen in Raubling oder Bruckmühl frei werden. Mehrfach sei versucht worden, diesbezüglich ein Entgegenkommen zu erreichen. „Doch jetzt haben wir es schriftlich, dass es das nicht gibt. Ich bin sehr enttäuscht“, sagt Wendrock.

Eine Lösung
mit Schieflage

Er sieht in der Tatsache, dass weiterhin daran festgehalten werde, das Turnhallenproblem in zwei größeren Kommunen (Bruckmühl und Raubling) zu Lasten einer einzigen, viel kleineren (Rott) zu lösen, „eine Schieflage“. „Rott soll die Gesamtlast tragen. Das sehen ich und der Gemeinderat auch weiterhin nicht ein.“ Darauf verweist auch immer wieder die Bürgerinitiative „Rott rot(t)iert“.

Wendrock unterstreicht dies mit weiteren Zahlen, die die quantitative Überforderung seiner Gemeinde beweisen würden: In Deutschland leben 85 Millionen. Ende 2023 seien 3,8 Prozent Menschen gewesen, die sich in einem Asylstatus befunden hätten. Rott habe 4275 Einwohner, kämen jetzt 300 Geflüchtete dazu, läge ihr Prozentsatz bei sieben Prozent, zähle man die über 100 Personen im Dorf, die bereits aufgenommen und integriert worden seien, hinzu, sogar bei etwa zehn Prozent.

Deshalb bleibt Wendrock bei seiner Hauptforderung an die Politik im Freistaat: Die Geflüchteten müssten paritätisch auf die Kommunen verteilt werden, nach einem Schlüssel, der sich an der Einwohnerzahl ausrichte. Dafür müsse die Politik die gesetzlichen Grundlagen schaffen. Dann könnten auch die Regierung von Oberbayern und das Landratsamt die Asylsuchenden und Flüchtlinge gerecht verteilen.

Eine diesbezügliche Forderung hatte auch Landrat Otto Lederer bei seiner jüngsten Pressekonferenz zum Thema gestellt. „Derzeit überlassen wir die Verteilung dem Zufall des Immobilien-Markts“, findet Wendrock. Wenn so wie in Rott ein Gebäude anzumieten sei, werde die Chance genutzt, ohne Rücksicht auf die örtlichen Bedingungen. Was Wendrock außerdem ärgert: Mehrfach habe die Gemeinde darauf hingewiesen, dass die Gewerbehalle „Am Eckfeld“ nicht die Mindeststandards für eine menschenwürdige Unterbringung erfüllen könne. Diese Leitlinien seien zwar 2022 ausgesetzt worden, für ihn und den Gemeinderat Rott jedoch nach wie vor richtungsgebend. Danach benötigt jede Person zum Wohnen und Schlafen etwa sieben Quadratmeter Platz. Das sei in der Industriehalle im Rotter Gewerbegebiet nicht realisierbar. Tatsächlich ständen dort nur 2,8 bis vier Quadratmeter pro Person zur Verfügung. Konflikte seien bei dieser Enge vorprogrammiert.

Ursprünglich sollten in Rott in der geplanten Erstaufnahmeeinrichtung sogar 500 Menschen Platz finden. Das war vom Landratsamt auf 250 bis 300 reduziert worden, weil die Wasserversorgung für 500 nicht ausgereicht hätte, so begründete dies die Behörde. Wendrock möchte das aber nicht als Entgegenkommen des Landkreises bewertet wissen. „Das war schlicht eine Notwendigkeit.“

Er bleibt außerdem dabei, dass die Reduzierung der Belegungszahl auf 300 im Zusammenhang mit der Quecksilberbelastung stehe, die in zwei Räumen (in einem war der Richtwert erreicht, in einem zweiten überschritten worden) nachgewiesen worden sei. Der Anwalt der Gemeinde habe zum Quecksilber-Gutachten des Landratsamts fachliche Fragen, die nach wie vor offen seien. Enttäuschend findet Wendrock deshalb auch die Tatsache, dass die Behörde ein Zweit-Gutachten, wie von Rott gefordert, abgelehnt hat.

Ein großer Widerspruch zieht sich nach seiner Überzeugung außerdem durch die aktuelle Diskussion um Alternativstandorte für die Gewerbehalle. Landrat Otto Lederer hatte Rott in der jüngsten Pressekonferenz vorgeworfen, keinen verbindlichen Gemeinderatsbeschluss zu möglichen anderen Standorten für eine Traglufthalle gefasst zu haben.

Ende Juli war aus dem Landratsamt jedoch mitgeteilt worden, so Wendrock, die Regierung von Oberbayern sehe die vorgeschlagenen Alternativstandorte als nicht wirtschaftlich an. Weitere Gespräche seien nicht erforderlich. „Sollen wir einen Beschluss fassen zu etwas, was von vornherein abgelehnt wird?“, fragt sich der Bürgermeister. Über den Anwalt habe die Gemeinde eine Aufklärung zu diesem Widerspruch eingefordert.

Lederer hatte vor der Presse auch angedeutet, dass eventuell eine politische Lösung möglich ist. Der Petitionsausschuss des Landtags wird in Rott erwartet. Der Termin steht laut dem Bürgermeister noch nicht fest. Die Gemeinde werde zur Sitzung beigeladen und hoffe, die bekannten Argumente gegen die Erstaufnahme-Einrichtung in der leer stehenden Industriehalle überzeugend vortragen zu können. Es gehe nicht nur darum, dass der Standort aufgrund der Probleme des Gebäudes und der fehlenden Infrastruktur (keine Grünflächen, keine Ärzte und Einkaufsmöglichkeiten) ungeeignet sei. Auch Rotts Entwicklungsmöglichkeiten könnten durch die Erstaufnahme-Einrichtung mit 300 Personen in Gefahr geraten. Die Trink- und Abwasserversorgung sei bereits jetzt weitestgehend ausgeschöpft. Erweiterungen würden für ein neues Baugebiet benötigt, dessen Planungen weit fortgeschritten seien und das die Kommune auch aus wirtschaftlichen Gründen dringend benötige.

„Große Taten sind
bisher nicht gefolgt“

Grundsätzlich stellt der Rathauschef fest: Seit Bekanntwerden der Pläne des Landratsamts vor einem Jahr fühle er sich zwar in puncto Kritik gehört, doch größere Taten seien bisher nicht gefolgt. Es sei bei Dutzenden Besprechungen, Treffen mit Entscheidungsträgern und Vertretern von Ministerien bis hoch in die Staatskanzlei geblieben, in denen die Sorgen von Rott zwar anerkannt, Reaktionen angemessener Art in größerem Stil jedoch stets ausgeblieben seien. „Wir sind ein Jahr danach nicht wirklich weiter“, findet Daniel Wendrock.

Nach wie vor werde das Problem der Erstaufnahme und der beiden belegten Turnhallen in Bruckmühl und Raubling einseitig auf Rott abgewälzt. „Unsere Hand bleibt ausgestreckt“, nimmt der Bürgermeister das Bild des Landrats auf, der damit seine Gesprächsbereitschaft signalisiert hatte. „Doch wir können uns die Hand nur reichen, wenn wir aufeinander zugehen. Wir haben unsere Schritte getan.“ Heike Duczek

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