Aschau – „Achtung! Bitte nicht am Bärnsee Gassi gehen. Es wimmelt dort von Kreuzottern. Einer unserer Hunde hat nur knapp überlebt. Die ansässigen Bauern betreten das Gebiet auch nur noch mit Schutzkleidung.“ Diese Warnung in den sozialen Medien lässt aufhorchen.
Der Bärnsee und die ihn umgebenden Hochmoorflächen sind ein beliebtes Ausflugsziel. Im Landschaftsschutzgebiet sind Wanderungen auf dem ausgewiesenen Rundweg erlaubt. Hunde müssen an der Leine geführt werden, dürfen zum Schutz der Natur nicht frei herumlaufen, über Wiesen oder durch den Wald streifen.
Das Märchen von
der Schutzkleidung
Die Kreuzotter ist im Moor heimisch. Sie liebt feuchte Standorte. Und sie liebt es, sich zu sonnen. Um Wärme zu tanken, legt sie sich auch gern an Wald- und Wegränder. Dass die Bauern deshalb das Gebiet nur noch in „Schutzkleidung“ betreten, sei allerdings ein „Märchen“, kommentieren die betroffenen Landwirte. Sie pflegen seit Jahrzehnten das Biotop Bärnsee mit seiner vielfältigen Flora und Fauna. Hier gibt es viele seltene Pflanzen und Tiere, darunter auch die Kreuzotter. Die genießt einen strengen Schutzstatus. Sie wird in der Roten Liste geführt und ist in einigen Regionen vom Aussterben bedroht.
„Zwar ist die Kreuzotter eine Giftschlange. Fürchten muss man sie aber nicht“, sagt Andreas Paukert. Der Kolbermoorer gilt seit mehr als 30 Jahren als der Schlangenexperte der Feuerwehren im Landkreis Rosenheim. Bis zu 80 Schlangen fängt er pro Jahr ein. Meist seien es harmlose Ringel- oder Kornnattern, die den Menschen Angst machten. Aber auch einige Exoten musste er schon einfangen. Etwa zwei Kreuzottern pro Jahr seien dabei, schätzt Paukert: „Entgegen ihrem Ruf und allen Befürchtungen ist die Kreuzotter scheu und greift nur in äußerster Not an. Wenn sich jemand nähert, spürt sie die Vibration am Boden und flüchtet. Sie beißt nur, wenn sie sich verteidigen muss, also wenn sie beispielsweise getreten wird.“ Vorher, so erklärt er, warne sie aber ihre potenziellen Angreifer: „Sie stellt sich auf und zischt. Zieht man sich dann sofort zurück, kann ein Biss vermieden werden.“
Das Gift der Kreuzotter sei zwar ein sehr wirkungsvolles Gift und stärker als das der Diamant-Klapperschlange, sagt Paukert. Doch bei einem Abwehrbiss gebe die Kreuzotter kein oder nur eine sehr geringe Menge des Giftes ab. Für einen gesunden Menschen bestehe keine Lebensgefahr, beruhigt der Schlangenexperte. Doch auch wenn ein Kreuzotterbiss nicht lebensbedrohlich ist:. „Man sollte in jedem Fall schnellstens einen Arzt oder die Notaufnahme einer Klinik aufsuchen“, rät Jakob Hündl, Chef der Jägervereinigung Rosenheim. Der Aschauer weiß um die Kreuzottervorkommen am Bärnsee. Gebissen wurde noch keiner seiner Jagdgenossen. „Doch wir Jäger tragen auch immer Stiefel“, betont Hündl und verweist damit auf eine wichtige Verhaltensregel. „Wanderer, Spaziergänger oder Pilzsammler sollten immer festes Schuhwerk und lange Hosen tragen“, rät das Bayerische Landesamt für Umwelt. „Und wer durch die typischen Lebensräume der Kreuzottern läuft – also durch Wälder, Wiesen und Moore – sollte stets darauf achten, wo er hintritt.“
„Erwachsene werden am häufigsten in die Füße oder Hände gebissen, weil sie auf Kreuzottern getreten sind oder versucht haben, sie aufzuheben und vom Weg zu entfernen“, sagt Prof. Dr. Florian Eyer, Chefarzt der Toxikologie am Klinikum Rechts der Isar in München und Leiter des Giftnotrufs. Er warnt davor, den Biss der Kreuzotter zu verharmlosen, denn: „Das Gift der Kreuzotter ist sehr potent und kann zu allergischen Reaktionen wie extremen Schwellungen, Atemnot, Kreislaufbeschwerden oder zum allergischen Schock führen.“ Die häufigsten Symptome nach einem Kreuzotterbiss seien lokale Beschwerden wie Schwellungen der Extremitäten, Taubheit, Einschränkungen von Motorik und Sensibilität sowie Hautverfärbungen ähnlich einem Hämatom. Diese Beschwerden könnten über Tage und Wochen anhalten. Als akute Reaktionen seien aber auch Übelkeit, Bauschmerzen oder Blutdruckabfall bekannt.
„Jeder Biss ist ernst zu nehmen“, macht der Toxikologe klar und empfiehlt: „Die Extremität ruhigstellen, wenn möglich kühlen und sofort Hilfe holen.“ Völlig falsch sei es, nach einem Kreuzotterbiss eine Wanderung fortzusetzen. „Auf diese Wiese verbreitet sich das Gift im Körper.“ Also: Über den Notruf 112 Hilfe rufen und auf die Helfer warten. „Es kann durchaus sein, dass in den Bergen dann auch die Bergwacht oder sogar ein Helikopter zum Einsatz kommen“, so Eyer.
Beim Giftnotruf München werden jährlich etwa 20 bis 50 Bisse durch Kreuzottern gemeldet. Etwa fünf bis acht Patienten pro Jahr müssen stationär behandelt werden. Einen tödlichen Verlauf hat Professor Eyer noch nie erlebt. Kinder sind aufgrund ihrer geringen Körpergröße besonders gefährdet. „Dadurch kann es auch am Körperstamm oder am Hals zu Bissverletzungen kommen“, betont er. Und auch wenn es beim Giftnotruf eigentlich um Humantoxikologie geht, rufen viele Hundebesitzer in München an. Bei Hunden gilt das gleiche Prozedere. „Sie werden oft in Nase, Schnauze oder Zunge gebissen.“
Respekt, aber
keine Angst
Vorzubeugen und einen Biss zu vermeiden, sei allemal besser, meint Schlangenexperte Paukert. Dazu gehört für ihn vor allem Aufklärung. Mit den farbenprächtigen Kornnattern, einer ungiftigen Schlangenart aus Nordamerika, habe er schon viele Kinder begeistern können. Wer Schlangen kenne, verliere die Angst vor ihnen, nicht aber den Respekt. Wer einer Kreuzotter begegnet, sollte sie in Ruhe lassen, nicht bedrängen und auf keinen Fall versuchen, sie anzufassen.