Traunstein – Eine „Kiste mit sieben Millionen Dollar“ eines Arztes in Syrien, aus der sie 3,5 Millionen Dollar erhalten sollte, kostete eine inzwischen 57-jährige Landwirtin aus dem Landkreis Traunstein ein Vermögen. Sie zahlte einer Betrügerorganisation über eine Viertelmillion Euro – für „Unkosten“ wie Anwaltshonorare, Steuern oder das Entfärben von Geldscheinen (wir berichteten). Ein 48-jähriger Deutsch-Nigerianer aus Lübeck musste sich am Montag zum zweiten Mal vor einer Traunsteiner Strafkammer verantworten. Der Bundesgerichtshof hatte das Ersturteil einzig bezüglich der Höhe des gesetzlichen Wertersatzes aufgehoben. Schuldspruch und Strafhöhe wurden nicht beanstandet.
Die Siebte Strafkammer hatte den mittlerweile 48-jährigen Angeklagten im Juli 2021 wegen Betrugs zu vier Jahren Gefängnis verurteilt. Das Gericht rechnete dem Angeklagten damals einen Schaden von insgesamt 45000 Euro zu, die ihm die Bäuerin in bar bei mehreren Treffen in Hamburg ausgehändigt hatte. Das übrige Geld der Geschädigten war auf andere Weise spurlos im Ausland verschwunden.
Wertersatz
muss einfließen
Einzig der Mann aus Lübeck konnte von den deutschen Justizbehörden bislang gefasst werden. Er war gegen das erste Traunsteiner Urteil zum Bundesgerichtshof (BGH) gezogen. Der Erste Senat gelangte inzwischen zu dem Ergebnis, ein Urteil des Landgerichts Rostock aus dem Jahr 2019 müsse bei der Berechnung auch des Wertersatzes berücksichtigt werden.
Die Zweite Strafkammer mit Kammervorsitzendem Richter am Landgericht Andreas Bartschmid musste vor diesem rechtlichen Hintergrund jetzt keine Beweisaufnahme mehr durchführen. Staatsanwältin Pia Wilczek beantragte gestern – dem BGH-Beschluss folgend – einen Wertersatz von insgesamt 49100 Euro. Der Verteidiger aus Kiel schloss sich an. Das Urteil der Kammer folgte den Plädoyers. Mit Zustimmung des Angeklagten – der im Gegensatz zur ersten Verhandlung gestern die Vorwürfe als zutreffend bestätigte – wurde das Urteil noch im Gerichtssaal rechtskräftig. Den Haftbefehl hielt die Kammer wegen weiter bestehender Fluchtgefahr aufrecht.
Der Kriminalfall aus dem Jahr 2016 wies typische Kennzeichen organisierter Kriminalität auf. Die „Masche“ mit dem Vermögen, an das man gegen Zahlung von irgendwelchen Kosten gelangen soll, ist bis heute aktuell. Die 57-Jährige hatte damals nur ein Güllefass zum Verkauf via Internet offeriert. Prompt meldete sich bei ihr ein „Arzt aus Syrien“, der eine geerbte Kiste mit 7,2 Millionen US-Dollar in die Bundesrepublik schaffen wollte und dafür „Hilfe“ benötigte.
Die Landwirtin witterte eine Möglichkeit, ihren Betrieb auszuweiten und zu modernisieren. Ihr Ehemann bekam zunächst nichts mit, erfuhr erst Ende 2017 von der Geschichte. Vor Gericht schilderte er im Sommer 2021: „Meine Frau war nicht zu bremsen.“
Geldscheine
„eingefärbt“
„Steuerberater“, ein „Rechtsanwalt“ oder ein „Zollbeamter“ in der Türkei, in Amsterdam, London, Wien und anderen Städten hielten die Hand auf. Unter den Gründen für immer weitere Forderungen waren Zollgebühren, Steuern, Anwaltshonorare oder der Freikauf eines inhaftierten Mannes, in Hamburg auch das „Reinigen“ von Dollar-Scheinen, die für den Transport nach Europa „eingefärbt“ worden waren. Das gutgläubige Opfer reiste mehrmals in verschiedene Städte.
Unabhängig von Bargeldübergaben überwies die 57-Jährige bis Oktober 2019 große Beträge auf irgendwelche Konten im Ausland – stets im Glauben an die Millionen aufgrund immer neuer Legenden durch die Betrüger. Weil sie alle Belege aufhob, konnte die Kripo Traunstein später einen Gesamtschaden von 267929,15 Euro ermitteln.
Das Erstgericht machte den Angeklagten nicht für den Gesamtschaden verantwortlich, sondern für die 45000 Euro, die er in Hamburg kassiert hatte. Verschiedenste Personen hätten mit der 57-Jährigen über Jahre Kontakt gehalten, hieß es im Ersturteil. Die „Legenden“ hätten quer durch die Welt geführt. Der Angeklagte sei beteiligt gewesen. Die Richterin stellte damals im Urteil fest, der Angeklagte habe in der Bäuerin ein „sehr leichtgläubiges Opfer“ gefunden. Monika Kretzmer-Diepold