Von Entwarnung keine Spur

von Redaktion

Interview Professor Dr. Stephan Budweiser zu den Lehren der Corona-Zeit

Rosenheim – Rosenheim im März 2020, eine Region in Sorge: Das Coronavirus breitet sich aus, und noch kennt man außer Isolation und Kontaktbeschränkungen wenige wirkungsvolle Mittel gegen die Krankheit. Doch man lernt schnell. Vor allem beim Romed-Klinikverbund. Chefarzt Professor Dr. Stephan Budweiser spricht über die Lektionen aus der Pandemie. Und der Pneumologe erklärt, warum sich die Mediziner auch nach dem Ende der Pandemie nicht entspannt zurücklehnen können.

Im Rückblick, fünf Jahre nach dem Ausbruch: Wie schlimm war Corona wirklich?

Eine Infektion mit Sars-CoV-2, wie es heute heißt, war damals eine wirklich bedrohliche Erkrankung. Das Virus hat sich im Laufe der Zeit jedoch verändert. Es sind etliche Varianten und Subtypen entstanden, die teilweise leichter übertragen wurden und einen weniger schweren Krankheitsverlauf nach sich zogen. Ich kann mich aber noch gut an die ersten Patienten erinnern, die in die Klinik kamen und tatsächlich trotz aller intensivmedizinischen Bemühungen innerhalb von ein paar Stunden verstarben.

Die Schwere der Seuche bezweifeln manche bis heute.

Das ist absolut falsch. Von allen Covid-Patienten, die während der ersten Welle in unsere Klinik gekommen sind, sind leider 27,2 Prozent verstorben. Das allein zeigt ja schon, wie gefährlich diese Erkrankung war. Waren die Patienten intensivpflichtig, hat nur jeder Zweite die Erkrankung überlebt.

Bedrückende Zahlen.

Aus dem Grund finde ich es unangemessen, wenn man heute sagt, das war doch gar nicht so schlimm. Natürlich ist die Situation jetzt eine andere und glücklicherweise nicht so wie vor fünf Jahren. Allein aus der jetzigen Perspektive zu urteilen, ist aber nicht korrekt.

Die hohe Sterblichkeit: Lag sie daran, dass die erste Variante, der Urtyp, ein echter Killer war? Oder eher daran, dass man über Covid so wenig wusste?

Es ist richtig, dass die ersten Virusvarianten mit einer höheren Letalität assoziiert waren. Wichtig ist aber auch zu verstehen, dass das ursprüngliche Virus auf eine diesbezüglich nicht immunisierte Gesellschaft getroffen ist. Erschwerend hat beigetragen, dass wir aus medizinischer Sicht die Erkrankung durch dieses Virus nicht wirklich gut einschätzen konnten. Das heißt, keiner wusste zunächst, was dem Krankheitsbild wirksam entgegenzusetzen war. So wurde Covid-19 zunächst in gewisser Weise wie eine schwere Grippe angesprochen.

Von der Influenza wussten wir beispielsweise, dass wir, selbst wenn die Lunge betroffen ist, eher kein Cortison einsetzen sollten. Und daran haben sich die Ärzte auch zunächst orientiert. In den ersten Empfehlungen wurde von der Gabe von Cortison sogar explizit abgeraten.

Ein Irrweg?

Unser erster Meilenstein der Therapie war, dass wir sagen konnten, bei dieser Erkrankung muss man bei schweren Fällen, sobald Sauerstoff benötigt wird, anders als bei der Influenza tatsächlich systemisch Cortison einsetzen, um diese schwere Hyperinflammation, diese überschießende Entzündungsreaktion, zu unterdrücken. So können wir schwere Verläufe abmildern. Das war tatsächlich ein erster Paradigmenwechsel in der Therapie von Covid-19.

Ich kann mich noch an Fortschritte bei der Beatmung erinnern.

Man war sich lange nicht einig, wann und wie man die Patienten beatmen soll. Zunächst wurde empfohlen, eher frühzeitig zu intubieren und zu beatmen. Nach wenigen Monaten setzte sich aber die Erkenntnis durch, dass eine künstliche Beatmung sich nicht selten ungünstig auf den Krankheitsverlauf auswirkte. Dementsprechend favorisierte man schließlich die Strategie, wenn möglich, die Intubation hinauszuzögern, die sogenannte nasale Hochflusstherapie auszuschöpfen und Patienten konsequent, auch im Wachzustand, auf den Bauch zu lagern.

Ein mühseliger Lernprozess.

Ja, es war ein Prozess. Man kann sagen, wir haben Medizingeschichte miterlebt. Es gab auch erhebliche Kontroversen. Aber ich glaube, wir haben eigentlich unheimlich schnell gelernt. Innerhalb weniger Wochen, spätestens im Juli 2020, wussten wir beispielsweise schon sicher, dass es sinnvoll ist, bei sauerstoffpflichtigen Patienten Cortison einzusetzen. Wir konnten die neuesten Erkenntnisse eigentlich immer so schnell wie möglich umsetzen – dank des ständigen Informationsflusses über das RKI, des exponentiellen Wissenszuwachses über die medizinische Literatur und Studien und des Austausches mit anderen Kliniken, Kolleginnen und Kollegen.

Etwas länger hat es bis zu den ersten Impfungen gedauert.

Nach der Erkenntnis, Cortison bei schwer kranken Patienten einzusetzen, war das Ende des Jahres 2020 die nächste wichtige Entwicklung, womöglich sogar der Gamechanger. Auch wenn das manche weiterhin nicht glauben: Die Impfungen haben uns enorm geholfen, zusammen mit dem Umstand, dass immer mehr Menschen die Erkrankung durchmachten und dadurch immunisiert wurden.

Aber anstecken konnte man sich doch weiter. Inwiefern war da die Impfung ein wichtiger Faktor?

Entscheidend war, dass die Impfung dazu geführt hat, dass die Krankheit nicht so schwer verlief. Weil danach einfach Antikörper, die gegen das Virus gerichtet waren, vorhanden waren. Aus diesem Grund haben wir die Influenza-Impfung sogar noch in der laufenden Saison für die älteren und vorerkrankten Menschen empfohlen.

Wie viele Impfschäden hat es gegeben?

Es gibt ein Post-Covid-Syndrom, und ähnlich wie diese Spätfolge von Corona gibt es auch bei einer sehr geringen Anzahl von Menschen ein Post-Vac-Syndrom. Das ist mittlerweile anerkannt. Im Vergleich zu der großen Anzahl von Menschen, die geimpft worden sind, sind es aber sehr wenige Patienten, die durch die Impfung einen gesundheitlichen Schaden davongetragen haben. Wir sprechen hier von einem Anteil im Promille-Bereich.

Woher kam eigentlich Corona? War’s ein Laborunfall?

Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass es von Tieren auf den Menschen übergegangen ist. Zum Beispiel mit Fledermäusen oder auch Nagetieren als Zwischenwirt. Das war bisher der wissenschaftlich wahrscheinlichste Erklärungsansatz. Aktuell ist allerdings wieder die Hypothese im Umlauf, dass Sars-CoV-2 doch aus einem Labor in Wuhan entwichen ist. Man wird es wahrscheinlich nie mit letzter Sicherheit wissen.

Droht uns so etwas in absehbarer Zukunft erneut?

Was man im Augenblick fürchtet, ist die Vogelgrippe, die aviäre Influenza, die also von Vögeln übertragen wird, insbesondere H5N1. Zum jetzigen Zeitpunkt ist dieses Virus noch nicht so zusammengebaut, dass es leicht vom Vogel auf den Menschen und dann von Mensch zu Mensch übertragen werden kann. Dieses Virus wird wissenschaftlich genauestens beobachtet, weil es eben nicht viele Mutationen braucht, bis das Virus dann die Eigenschaft entwickeln könnte, vom Vogel zum Menschen zu springen und sich unter Menschen zu verbreiten.

Jetzt machen Sie mir Angst.

Ob das kommt, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, da streiten sich die Gelehrten. Aber manche Wissenschaftler haben schon im letzten Jahr befürchtet, dass die nächste Pandemie in den Startlöchern stehen könnte. Dementsprechend kommt oft schnell Hektik auf, wenn sich die Vogelgrippe auch nur unter Zugvögeln verbreitet. Bislang ist eine weitere Pandemie ausgeblieben. Glücklicherweise wären wir heute sowohl von wissenschaftlicher Seite wie auch vonseiten der Krankenhäuser besser vorbereitet.

Inwiefern?

Natürlich wurden auch bei Romed die Pandemiepläne und Vorhaltungen weiterentwickelt und Vorratsbestände an Schutzausrüstung, Geräten und Medikamenten aufgestockt. Ein wichtiger Baustein ist die Behandlung schwerer Atemwegsinfektionen. Hierzu nehmen wir in Rosenheim an großen multinationalen und multizentrischen Studien zur Erforschung neuer Therapieansätze teil. Sars-CoV-2 ist dabei nicht der einzige Krankheitserreger, mit dem wir uns in der Klinik auseinandersetzen müssen. Wie auch unsere eigenen Studien zeigen, führt das RS-Virus oder Influenza immer wieder zu schweren Krankheitsverläufen. Die gute Nachricht ist aber: Wir haben hierfür wirksame Impfungen. Damit können wir Menschenleben retten und das Gesundheitssystem entlasten.

Interview: Michael Weiser

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