Traunstein/Wasserburg – Ein gewiefter 64-jähriger Rentner aus Wasserburg sorgte dafür, dass die Betrugsserie eines Serben nach Schockanrufen endete. Er legte den Abholer am 9. Oktober 2024 mit der Aussicht auf große Beute herein. Den 37-Jährigen verurteilte die Zweite Strafkammer am Landgericht Traunstein gestern wegen eines vollendeten banden- und gewerbsmäßigen Betrugs, zwei Versuchstaten und einer Verabredung zum Betrug zu fünf Jahren und sechs Monaten Gefängnis. Der 37-Jährige räumte über seinen Verteidiger, Raphael Botor aus Rosenheim, alle Vorwürfe von Staatsanwältin Pia Dirnberger ein.
Der Angeklagte gehörte einer Bande an, deren Keiler vom Ausland aus potenzielle Opfer via Telefon kontaktieren, ihnen extreme Notsituationen durch angebliche „Angehörige“ vorspiegeln und hohe „Kautionen“ verlangen, damit die „Unfallverursacher“ nicht ins Gefängnis müssen.
Mit diesem Trick machte die Bande im Landkreis Weilheim-Schongau im September 2024 Beute im Wert von 121202 Euro. In Biberach schöpfte eine Bankmitarbeiterin in letzter Sekunde Verdacht, als eine 92-jährige Seniorin 40000 Euro in bar abheben wollte. Bei den Ermittlungen stellte sich heraus: Der Angeklagte war in der Nähe. Während einer erfolglosen Schockanrufwelle Ende September mit 33 der Polizei gemeldeten Versuchen, stand der 37-Jährige quasi in Rufbereitschaft.
Das endgültige Aus für den Abholer kam am 9. Oktober. Ein 64-jähriger Rentner war in Wasserburg am Hörer, als sich eine „weinende Frau“ unter ausländischer Nummer als seine „Tochter“ ausgab, die jemand angefahren habe.
Gestern meinte er im Zeugenstand: „Dabei habe ich keine Tochter. Ich wusste sofort, dass ich überrascht werden sollte. Ich sagte, ich hätte zwei Goldbarren und 5000 Euro. Ich bin bei dem Zirkus am Telefon stets mitgegangen.“
Der 64-Jährige schilderte, wie er die „Staatsanwältin“ auf‘s Glatteis führte, nebenbei die Polizei Wasserburg informierte und die beiden Beamten in Zivil vom dritten Stock aus Stellung beziehen sah. Auch den ständig telefonierenden Angeklagten entdeckte er von oben.
Die „Staatsanwältin“ habe er „verarscht – so wie ich verarscht werden sollte“. Sie habe verlangt, dass er die Goldbarren aneinanderschlagen sollte. Zufällig habe er zwei Steine in der Wohnung gehabt. Diese habe er „zusammengeklopft“. Die Frau habe kommentiert: „Das hört sich gut an.“
Den Rucksack aus dem dritten Stock zu werfen, habe er mit Verweis auf Fußgänger unten auf der Straße verweigert. Nachdem der 37-Jährige den Rucksack unten an der Tür hatte, nahmen ihn die Beamten fest. Der Zeuge weiter: „Ich lese jeden Tag von solchen Verbrechern und verstehe nicht, warum so viele Menschen darauf reinfallen. Man muss darüber im Fernsehen aufklären.“ Der Vorsitzende Richter lobte den Rentner: „Danke, Sie haben sich vorbildlich verhalten.“
Einen Bericht über die kriminelle Masche als solche und die konkreten Ermittlungen lieferte die Sachbearbeiterin der Kripo Traunstein. Auf die Opfer werde wahnsinniger Druck ausgeübt. Hinterher seien sie oft „psychisch am Ende.“
Auf dem Handy des Angeklagten seien Fotos von der Beute, Adressen und einschlägige Chats entdeckt worden. Staatsanwältin Pia Dirnberger beantragte gestern eine Haftstrafe von sechs Jahren. Verteidiger Raphael Botor plädierte auf vier Jahre Freiheitsstrafe. Tatmotiv seien die Schulden seines Mandanten gewesen.
Im Urteil stellte der Vorsitzende Richter Volker Ziegler fest, auch ohne Geständnis wären die Taten nachweisbar gewesen. Beim Strafmaß habe die Kammer in anderen Verfahren schon sehr hohe Strafen verhängt, bei Abholern um die acht Jahre. Bei dem 37-Jährigen habe man das Geständnis berücksichtigt, auch wenn es erst kürzlich erfolgte. Ein minderschwerer Fall sei bei einem Schaden von mehr als 120000 Euro nicht gegeben, betonte der Richter. kd