Rolle rückwärts beim ÖPNV

von Redaktion

Fünf Monate ist es her, seitdem die Stadt einen kompletten Busbetrieb gekauft hat. Es wurde eine Verkehrsgesellschaft gegründet, alle Busse des Stadtverkehrs erworben, die gesamten Mitarbeiter übernommen. Und jetzt soll sich der Fahrplan ändern.

Rosenheim – Richtig zufrieden war Sonja Gintenreiter nicht. „Ich habe ein weinendes und ein lachendes Auge“, sagte die Fraktionsvorsitzende der Grünen während der jüngsten Sitzung des Verkehrsausschusses. In dieser stellte Tobias Weiß, Geschäftsführer der Verkehrsgesellschaft, die Änderungen im Fahrplan für das kommende Jahr vor. Diese wurden gemeinsam mit der Stadt Rosenheim, der RoVG sowie dem Münchner Verkehrs- und Tarifverbund (MVV) ausgearbeitet.

Endorfer Au wird
wieder angefahren

Beschlossen wurde etwa, dass im Gewerbegebiet am Oberfeld eine Bushaltestelle eingerichtet werden soll. Zudem fahren die Stadtbusse ab Dezember regelmäßig zum Möbelhaus „Weko“. Im Nachtverkehr wird die Endorfer Au wieder angefahren und neu auch Oberwöhr, Egarten, Westerndorf am Wasen und der Keferwald. Die Linien 424 und 426 beginnen künftig am Bahnhof statt in der Stadtmitte. Die Linie 403 verkehrt neu als Ringlinie von Alt-Happing über die Happinger Au in die Stadt, die Linie 413 gegenläufig inklusive Haltestellen am Oberfeld und bei Weko. Wieder angebunden werden Haltestellen, die aufgrund der Corona-Pandemie seit viereinhalb Jahren nicht mehr angefahren werden, im Gewerbegebiet Ost und im Gewerbegebiet Schwaig. Auch die früheren Haltestellen am Friedhof und am Eisstadion werden wieder bedient.

Stadtrundfahrt
am Abend

Soweit zu den Verbesserungen – über die sich nicht nur Sonja Gintenreiter freute. Im gleichen Atemzug kritisierte die Fraktionsvorsitzende aber eben auch die zahlreichen Verschlechterungen. So setzt der Nachtverkehr künftig bereits ab 19 Uhr ein. Heißt im Umkehrschluss: Wer mit dem Zug aus München am Bahnhof ankommt und nach Heilig Blut möchte, erhält künftig eine Stadtrundfahrt durch die Endorfer Au und durch Oberwöhr und muss damit die dreifache Zeit in Kauf nehmen, um nach Feierabend nach Hause zu kommen.

Auch auf dem Weg in die Arbeit müssen Pendler in Zukunft deutlich mehr Zeit einplanen. Denn der Nachtverkehr gilt auch in der Zeit von 4.30 bis 6.15 Uhr, samstags sogar bis 9 Uhr. Wer zum Beispiel von der Erlenau in die Stadt möchte, fährt künftig erst stadtauswärts nach Langenpfunzen und Westerndorf St. Peter, dann durch die Lessingstraße und durch das Gebiet am Stocket, bevor er an sein Ziel gelangt. In der Neuen Heimat fährt der erste Bus am Samstag bis zu vier Stunden später als bisher. Hinzu kommt, dass die Betriebszeiten, die erst im Februar 2023 ausgeweitet worden waren, wieder eingeschränkt werden. Von Montag bis Donnerstag ist bald ab 23 Uhr Schluss. Und damit drei Stunden früher als bisher. Wer die letzten Züge aus München, Kufstein, Salzburg, Holzkirchen oder Mühldorf nimmt, dem bleiben somit bald wieder nur das Taxi oder der Fußweg.

Verstärkerfahrten
werden gestrichen

Zudem werden die Takte weiter ausgedünnt. Die Stadt streicht am Nachmittag und Abend mehrere Verstärkerfahrten auf der Linie 402, welche die besonders dicht besiedelten Stadtteile Endorfer Au und Gries bedienen. Daneben werden die Linien 413 und 414 gestrichen, die den Schulverkehr im Rosenheimer Süden sicherstellen. Laut Stadt integriert die Verkehrsgesellschaft die Kurse in die bestehenden Linien 407, 411 und 412. Der ausgedünnte Notfahrplan an Samstagen wird zum neuen Standardprogramm. Die Busse verkehren auch künftig nur noch alle 60 Minuten und nicht mehr wie früher üblich alle 15 beziehungsweise 30 Minuten. Sie bleiben zudem an den Sonn- und Feiertagen weiterhin den gesamten Tag im Depot stehen.

Pendler brauchen
doppelt so lang

„Wir haben Geld investiert, um den Busverkehr attraktiver zu machen, jetzt brauchen Pendler in der Früh zum Teil doppelt so lang. Das wird niemand mitmachen“, kritisierte Gintenreiter. Statt Takte zu verkürzen und zu reduzieren, hätte sie sich gewünscht, dass mehr Anreize und Angebote geschaffen werden. „Eine Verkürzung der Betriebszeiten ist der falsche Schritt“, sagte sie.

Und doch ist es ein Schritt, der unausweichlich zu sein scheint. Jedenfalls, wenn man bei Oberbürgermeister Andreas März und Geschäftsführer Tobias Weiß nachfragt. „Die Auslastungen zwischen 4.30 und 6.45 Uhr sind sehr gering. Wir fahren eigentlich nur heiße Luft spazieren“, sagte Weiß während der Sitzung. Das habe eine Fahrgastzählung ergeben. Um die Wirtschaftlichkeit zu gewährleisten, sei eine Anpassung der Betriebszeiten deshalb unausweichlich. Zudem erinnerte Oberbürgermeister März daran, dass mit Blick auf den städtischen Haushalt durchaus Geld gespart werden muss. „Wir müssen uns überlegen, wo der Euro seine größte Wirkung hat“, sagte er. Und das sei eben nicht am frühen Morgen oder am späten Abend. Stattdessen müsse der Fokus auf den Kernzeiten liegen.

„Dadurch werden die Fahrgastzahlen nur noch mehr reduziert“, widersprach Gintenreiter. Sie erinnerte an die Situation in Dachau. Dort habe man den Takt auf zehn Minuten verdichtet, mit dem Ergebnis, dass sich die Fahrgastzahlen verdoppelt haben. „Das zeigt, dass erst Anreize geschaffen werden müssen, bevor das Geld in die Kasse gespült wird.“

Kritik am fehlenden
Mut der Stadt

SPD-Stadtrat Robert Metzger gab zu bedenken, dass es eine gewisse Zeit braucht, bis Angebote angenommen werden. „Ich habe das Gefühl, dass uns der Mut verlässt“, sagte der Politiker. Er plädierte für mehr Verlässlichkeit und Geduld, regte aber auch an, mehr in das Marketing für den ÖPNV zu investieren.

Oberbürgermeister März wies den Vorwurf, dass ihn der Mut verlassen habe, entschieden zurück. Das Gegenteil sei der Fall. Man sei bereit, jedes Jahr einige Millionen auszugeben, um zu gewährleisten, dass der ÖPNV funktioniert. Sein Fokus liege darauf, Linien und Haltestellen zu verbessern, die von zahlreichen Fahrgästen genutzt werden.

Zustimmung erhielt er von Herbert Borrmann, Fraktionsvorsitzender der CSU. „Wir müssen realisieren, wenn etwas nicht angenommen wird“, sagte er während der Sitzung. Man müsse das Geld sinnvoll investieren. Auch mit Blick auf das Romed-Defizit, das eine große Lücke in den städtischen Haushalt gerissen hat. „Manchmal muss man eben einen Schritt zurück machen, um zwei nach vorne zu gehen“, sagte er. Nur so könne gewährleistet werden, dass man nicht „irgendwann pleite“ ist.

Erst Verbesserung,
dann Streichung?

„Wäre es nicht ratsam, erst das Marketing zu verbessern und dann Angebote zu streichen?“, hinterfragte Grünen-Stadträtin Daniela Dieckhoff. Zumindest Oberbürgermeister März äußerte Zweifel daran, dass Marketing ausreiche, um die Fahrgastzahlen in den Randzeiten zu erhöhen.

Einstimmig sprachen sich die Mitglieder des Verkehrsausschusses für die Fahrplanänderungen aus, die im Dezember in Kraft treten sollen.

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