München – Zuhause bleiben heißt Bewegungsmangel? Von wegen! Körper und Geist brauchen einen Ausgleich zum vielen Sitzen, erklärt Kati Utz. Die 34-jährige Trainingstherapeutin betreut bei „Stefanie Kloetzl“, einer der führenden Münchner Praxen für Therapie und Training, Patienten und Kunden aller Altersgruppen und in verschiedensten Fitness-Levels. Im Interview spricht sie über das geeignete Programm für Zuhause – und sieht die Chance, den Alltag auch in Corona-Zeiten sportlich zu gestalten.
Frau Utz, stimmt das Sprichwort: Wer rastet, der rostet?
Leider ja. Es stimmt immer, auch außerhalb dieser Corona-Zeit. Der Körper passt sich dem an, was man ihm gibt. Wenn man ihm einen Reiz gibt, wird das muskuläre und auch das kardiovaskuläre System getriggert und passt sich an. Wenn der Körper diesen Reiz nicht bekommt – weil man zu viel sitzt oder sich generell nicht bewegt –, nimmt er das auch wahr und fährt alle Systeme runter. Die Muskulatur schwindet, das Atemvolumen und andere Parameter werden weniger. Dann rostet man – im wahrsten Sinne des Wortes.
„Stay at home“ darf also nicht heißen: Keine Bewegung.
Auf gar keinen Fall. Auch zuhause zählt jetzt jeder Schritt, den man macht. Aber Bewegung heißt nicht immer nur Sport. Man kann sich daheim auch im Alltag viel bewegen, beim Putzen, Aufräumen und auch im Homeoffice. Jeder sollte versuchen, sich einigermaßen fit und geschmeidig zu halten.
Der Arbeitsweg fällt weg, die sozialen Treffen sowieso. Ist die gewonnene Zeit nicht eine Chance, um zu sagen: Jetzt erst recht?
So sollte man es sehen – denn es ist ja wirklich so: Man gewinnt im Schnitt bestimmt eine Stunde in seinem Alltag, die sollte man nutzen, um ein kleines Training in seinen Alltag zu integrieren. Man hat die Chance, nach der Zeit zuhause so fit zu sein, wie man es vorher nicht war. Wenn man jetzt so eine Gewohnheit in sein Leben integrieren kann, wird man sie danach beibehalten.
Was soll man tun – und was muss man tun?
Jeder – egal in welchem Fitnesslevel – sollte jeden Tag spazieren gehen. Das ist die leichteste Möglichkeit, alle Muskelgruppen einmal durchzubewegen. Aufzustehen, die Hüfte aufzurichten –das ist wichtig, weil man daheim einfach viel sitzt. So kommt auch der Kreislauf in Schwung. Zudem sollte man im Alltag jede Bewegung bewusst nutzen: Die Treppen gehen, keinen Aufzug, keine Rolltreppe. Jeder Schritt zählt! 10 000 Schritte am Tag sind ja so ein Richtwert. Der muss nicht jeden Tag erreicht werden – aber wer so viel geht wie möglich, macht schon mal alles richtig. Dazu wäre es schön, wenn man ein paar Übungen macht.
Welche Muskelgruppen muss man ansprechen?
Vor allem die Bein-, Po- und Rückenmuskulatur – denn sie ist die größte Muskelgruppe, die wir haben, und somit auch der beste Kalorien-Verbrenner. Wer sitzt, riskiert, dass sich die vorderer Muskulatur verkürzt und die hintere abschwächt. Dadurch kommt es zu einer Dysbalance, die zu Fehlhaltungen führen kann. Die Hüfte ist ein zentrales Element des Körpers, das man nicht einrosten lassen darf. Sonst merkt man es von den Knien bis zum Nacken. Eine gezielte Dehnung der Hüftbeugemuskulatur wirkt da entscheidend dagegen.
Was empfiehlt man: Das Homeoffice immer mal für ein paar Übungen zu unterbrechen – oder ein Workout im Ganzen?
Jeder muss es so machen, dass es am besten in den Alltag integrierbar ist. Wenn man eine Stunde Homeoffice macht und dann ein paar Übungen, wäre es besonders gut. Dann würde man den Körper immer wieder aus der Position rausholen. Wer aber nur ein Mal am Tag Zeit für eine kurze Einheit hat, kann das genauso machen. Zehn Minuten sind da schon Gold wert. Auch für die Arbeitszeit aber gilt: Der Arbeitsplatz sollte ergonomisch sein, jedes Telefonat im Stehen oder im Gehen geführt werden. Dadurch ist schon viel gewonnen. Für die Muskulatur und den Kreislauf. Danach ist man im Sitzen wieder fitter, konzentrierter und wacher.
Was ist die Minimal-Ausstattung für das Workout zu Hause?
Wer eine dünne Yogamatte hat, hat eigentlich schon alles. Wer nicht, kann alles auch auf dem Teppich oder einem Handtuch machen. Ansonsten reicht das eigene Körpergewicht, mit dem man sehr, sehr viel machen kann. Functional Training ist modern und in aller Munde, weil es effektiv und einfach ist. Wer noch zwei Gewichte hat – Hanteln mit zwei Kilo in etwa –, kann diese gut einsetzen. Wer nicht, nimmt einfach zwei Flaschen Wasser. Gut einsetzbar ist auch ein herkömmliches Theraband,
Wie viele Übungen soll man machen?
Fünf Übungen, die man zum Beispiel in einem Zirkel wiederholt, reichen. Eine Ganzkörper-Stabilisations-Übung, eine Rücken-Übung zur Aufrichtung, eine Cardio-Übung für das Herzkreislauf-System, eine gezielte Übung für den Rumpf, eine Balance-Übung –damit hat man alle Bereiche abgedeckt. Was dabei am wichtigsten ist: Die Sauberkeit der Ausführung. Ein Training daheim – ohne Korrekturen – birgt immer auch Gefahren. Deshalb: Es geht nicht um Geschwindigkeit und die Anzahl der Wiederholungen. Es geht um die Ausführung. Jeder soll so trainieren, wie er die Übungen kontrollieren kann. So, dass er die Übungen bis zum Schluss sauber ausführen kann.
Fitnessstudios bieten gerade online ihre Kurse an. Sollte man sich da anschließen?
Wenn das eigene Fitnessstudio das anbietet: Warum nicht? Da kennt man sich, das gemeinsame Sporttreiben motiviert, die Community zeigt, dass man zusammenhält. Auch wir bieten aktuell unsere Physiotherapie und Trainingseinheiten per Videokonferenz an.
Sie sind selber Mutter. Was macht die gestresste arbeitende Mama, die gleichzeitig im Homeoffice ist und die Kinder betreut?
Sie hat sowieso viel Bewegung – aber auch viel falsche. Am Boden kriechen, aufräumen, Schuhe binden. Sie muss vor allem viel an der Aufrichtung arbeiten. Ich würde empfehlen: Entweder 15 Minuten Power-Workout, um alles auszuschwitzen. Oder aber abends zum Runterkommen vier, fünf Yoga-Übungen. Um die beanspruchten Partien zu dehnen – und den Geist zu beruhigen. Auch das ist wichtig in dieser Zeit.
Fit durch die Corona-Zeit – das scheint also möglich.
Natürlich. Und Sport ist auch wichtig, um zufrieden und positiv zu bleiben. Es werden hoffentlich wieder Zeiten kommen, in denen wir uns im normalen Alltag wieder mehr bewegen. Bis dahin gilt: Drinnen alles geben – um danach fit durchzustarten.
Interview: Hanna Raif